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Pfingsten, eine Herausforderung – auch politisch

Die Pfingstgeschichte wird manchmal erzählt als wundersame Geschichte von Leuten in Ekstase mit Feuerzünglein auf den Köpfen, die nicht mehr richtig sprechen konnten, oder von weissen Tauben, die aus dem All herunterschweben.

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Das ist nicht nur eine oberflächliche Lesart der biblischen Texte, es ist auch eine grobe Verharmlosung.

Denn im Kern geht es bei Pfingsten um die Erfahrungen einer erstaunlichen Verständigung zwischen Angehörigen unterschiedlicher Völker: Parther, Meder, Elamiter, Römer, Kreter, Araber hätten sich verstanden, erzählt die Bibel. Das waren damals bestimmende Mächte in der antiken Welt. Übersetzt auf heutige politische Verhältnisse: Chinesen, Russen, Amerikaner, Europäer. Menschen also mit verschiedenen Weltbildern, die verschieden aufgewachsen sind, in verschiedenen Traditionen zuhause sind, verschieden sprechen, essen, leben.

Pfingsten ist nicht bloss ein Fest mit besonderen religiösen Erlebnissen. Der Impuls für alle Zeiten und alle Kulturen lautet: Es ist möglich, einander zu verstehen und miteinander zu kooperieren, auch wenn wir nicht dieselbe Sprache sprechen und divergierende Interessen verfolgen.

In den ersten Christengemeinden waren verschiedenste Nationen vertreten und Menschen verschiedener sozialer Klassen. Sie lebten eine Alternative zu den herrschenden Zuständen im römischen Reich. Die reiche Römerin nahm neben dem persischen Kriegsgefangenen und Haus-Sklaven das Abendmahl. Das war nicht spannungsfrei, beseitigte auch nicht mit einem Schlag alle Ungerechtigkeiten, aber es wurde immerhin gewagt, damit gewaltige Barrieren zwischen Menschen zu überschreiten. Dahinter stand die Überzeugung, dass alle gleichermassen Gottes Kinder sind, und ein Lebensrecht besitzen auf dieser Erde. Und, dass es deswegen angezeigt ist, einen gangbaren gemeinsamen Weg zu suchen, auch wenn die Verständigung schwierig ist. Wer das nicht glaubt, dem bleibt nur die Gewalt.

Die Pfingsttaube aber steht für die Überzeugung, dass Verständigung möglich ist und gesucht werden sollte, auch wenn sie manchmal schwer vorstellbar ist.

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