Amtliches, obligatorisches Publikationsorgan der Gemeinde Meilen
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Amtliches, obligatorisches Publikationsorgan der Gemeinde Meilen

Liebe Meilemerinnen und Meilemer

«Die Welt ist aus den Fugen.» Mit diesem Satz habe ich vor 23 Monaten meine erste Botschaft im Zusammenhang mit der Covid-19-Pandemie begonnen. Wir standen damals alle unter dem Eindruck davon, wie rasch sich das noch bis vor Kurzem unbekannte Virus über den ganzen Erdball ausbreitete. Und ich habe ausgeführt: «Niemand von uns weiss, was das für uns alle wirklich bedeutet und niemand weiss, was alles noch auf uns zukommt.

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Ob die ergriffenen Massnahmen richtig oder falsch sind, ob sie zu weit oder zu wenig weit gehen und ob sie zur richtigen Zeit oder zu spät eingeleitet wurden, wissen wir auch nicht. Es ist müssig, jetzt darüber zu debattieren – später wird für einen Rückblick und fürs Ziehen von Lehren genügend Zeit sein.»

Tatsächlich wusste im März 2020 niemand, was uns alles bevorstand: von der Empfehlung, sich zur Begrüssung nicht mehr die Hände zu schütteln über den Aufruf, zu Hause zu bleiben bis zu Home-Schooling, Lockdown und dem Hamstern von Toilettenpapier. Von der Maskenpflicht über das Contact Tracing bis zum Impfen und Boostern sowie dem Vorweisen von 3G- und 2G-Zertifikaten waren wir immer wieder mit Neuem konfrontiert und haben Begriffe und Verhaltensweisen gelernt, die keine und keiner von uns sich auch mit viel Phantasie hätte vorstellen können. Wir haben das alles mitgemacht – mit Vernunft und mit Solidarität. Und auch mit Rücksicht auf die vulnerablen Mitmenschen und auf die vielen Mitarbeitenden im Gesundheitswesen.

Vor einer Woche sind nun vom Bundesrat fast sämtliche Schutzmassnahmen aufgehoben worden. Ob das gleichzeitig das Ende der Pandemie bedeutet oder ob uns eine weitere Welle bevorsteht, weiss jedoch niemand. Die Erkenntnisse über diesen kleinen Erreger sind nach wie vor nicht erhärtet. Ich staune manchmal, mit welcher Selbstsicherheit Wissenschafter und selbsternannte Experten ihre Meinungen äussern. Und ich staune, dass bereits am Tag nach dem grossen Schritt in Richtung Normalität in den Medien unzählige Kommentare zu lesen waren, die besserwisserisch die behördlichen Anordnungen der letzten zwei Jahre beurteilten. Dabei darf nicht vergessen werden: Die Politik hatte während allen Aufs und Abs der Krise immer wieder – oft sehr einschneidende – Entscheide zu treffen, ohne deren Auswirkungen wirklich vorhersehen zu können.

Diese Verantwortung hat ihr in den vergangenen zwei Jahren niemand abgenommen und nimmt ihr auch jetzt niemand ab. Es kann auch heute kein Mensch voraussagen, ob die Achterbahn der Corona-Krise wirklich zu Ende ist. So gibt es neben den seit jeher gegenüber allen Massnahmen kritischen Stimmen umgekehrt auch solche, die sehr skeptisch sind und die Öffnung als riskant und zu verfrüht ansehen. Endgültige Lehren können noch nicht gezogen werden.

Immerhin: Ganz viele Zeichen deuten darauf hin, dass das Corona-Virus dank der hohen Immunität der Bevölkerung seine hohe letale Wirkung verloren hat, die Intensivbetten in unseren Spitälern nicht mehr füllt und zwar nach wie vor nicht ungefährlich, aber immerhin bloss noch endemisch ist. Darüber dürfen wir uns freuen! Denn es bedeutet, dass wir wieder – allerdings immer mit der nach wie vor gebotenen Vorsicht – zu unserem gewohnten Leben zurückkehren können.

Private Treffen sind uneingeschränkt möglich. Wir dürfen uns wieder begegnen, ohne nach einem Zertifikat gefragt zu werden. Wir sehen uns wieder in die Gesichter. Wir sehen beim Gegenüber ein Lächeln und müssen es nicht nur erahnen. Und der Handschlag wird allmählich die eigenartige Begrüssung mit dem Ellbogen ablösen.

Mit der Freude einher geht auch das Gefühl, nicht mehr bevormundet zu werden. Es widerspricht unserem Verständnis von Freiheit, dass uns die Regierung Verhaltensvorschriften macht. Doch das war angesichts der Gefährlichkeit von Corona unumgänglich. Jetzt aber können wir uns nicht mehr hinter Vorgaben des Bundesamts für Gesundheit verstecken; jetzt ist definitiv Eigenverantwortung gefragt.

Ob geimpft oder nicht geimpft: Jede und jeder hat sich selber zu schützen und sich so zu verhalten, dass andere nicht gefährdet werden. Wer sich wohler fühlt, auch weiterhin in der Öffentlichkeit eine Maske zu tragen, soll das tun – vor allem, wer zu einer Risikogruppe gehört. Das ist zu akzeptieren; tadelnde Blicke oder abschätzige Sprüche sind fehl am Platz.

Wir haben es mit einer Seuche zu tun, Corona zirkuliert immer noch und Infektionen sind nach wie vor zu vermeiden. Und schliesslich haben wir gelernt, dass auch eine harmlosere Variante des Virus jederzeit mutieren kann und dass die pandemische Lage fragil ist und sich rasch ändert. Wenn im öffentlichen Verkehr obligatorisch und am Arbeitsplatz oder auch sonst da und dort freiwillig die Maske getragen wird, dann ist das nicht zuletzt ein Appell an die Vorsicht und an die Rücksicht, die jede und jeder Einzelne zu walten hat.

Die Welt ist zwar nicht mehr aus den Fugen, aber ganz auf den Beinen ist sie noch nicht. Toleranz und eine verständnisvolle Beziehung untereinander sind immer richtig – in einer Krise und auch in den Zeiten danach. In diesem Sinn rufe ich Sie, liebe Meilemerinnen und Meilemer, zu einem verantwortungsvollen Umgang mit den wiedererlangten Freiheiten auf und wünsche Ihnen gleichzeitig einen schönen, unbeschwerten Frühling.

Christoph Hiller, Gemeindepräsident

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