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Das Stück «Love Letters» (1988) von A.R. Gurney (1930–2017) hat keine Dialoge, und die Handlung findet sozusagen off-stage statt. Das Atelier Theater Meilen zeigt eine berührende Adaption des Stücks, das zum Welterfolg wurde.
Und natürlich fehlt der Dialog nicht wirklich. Nur findet er mittels Briefen statt. Melissa und Andy schreiben sich ein Leben lang und finden doch nur einmal kurz zusammen. Melissa wäre «eine gute Partie», zerbricht aber schliesslich am Leben. Auch Andy ist nicht frei und erfüllt pflichtbewusst das Mantra seines Vaters: Pflicht gegenüber Familie und Vaterland. Zu gefangen ist er in diesem Korsett, als dass er sich befreien könnte für eine wie Melissa. Sie ist so ganz und gar das Gegenteil von Andy. Frech, provokant und rebellisch, nimmt sie kein Blatt vor den Mund. Vulgär bedient sie sich der Sprache, verletzlich schreit sie nach Hilfe und trotzig widersetzt sie sich lange. Sie die Künstlerin, er der Karrierist. Er liebt das Schreiben, sie hasst es.
Der anfängliche Eindruck, Melissa sei diejenige, die den Ton angibt, weicht bald der Einsicht, dass es eben doch Andy ist, der vorgibt, wie ihre Beziehung stattfindet, nämlich übers Schreiben. Er kann nicht anders. Das Publikum verzweifelt denn auch zusammen mit Melissa ob seiner Unfähigkeit, in den realen Kontakt zu treten. Gleichzeitig ist seine Liebeserklärung an das Schreiben einer der zartesten Momente des Stücks.
Man lacht und leidet mit den Protagonisten
Man weiss bis am Schluss nicht, ob man diese Briefschreiberei lästig finden soll oder nicht. Gurney selber schreibt dazu: «…writing can be a kind of salvation for certain people. … That’s the case with Andy Ladd in Love Letters. … Writing enables him to express feelings he never could articulate otherwise, … . Writing to him is the only way to extend himself toward the woman he loves. Melissa … senses the problems inherent in writing. She knows instinctively that you can use words to hide as well as to reveal, and that letters can be ways of avoiding contact rather than reaching out.» Das Schreiben ist also Fluch und Segen zugleich. Ähnlich geht es einem mit den Protagonisten. Man schüttelt den Kopf, lacht und leidet mit ihnen, ins Herz schliessen tut man am Schluss beide.
Einfach vorlesen?
Dem Regisseur Udo van Ooyen gelingt mit seiner Inszenierung von Gurneys «Love Letters» eine starke Adaption. Annegret Trachsel und Heinz Bösch erweisen sich als Traumbesetzung. Gurney meint in seiner «author‘s note», dass das Stück für Schauspieler ganz einfach sei, weil es keiner Vorbereitung bedürfe, da ja die Briefe auf der Bühne einfach vorgelesen werden könnten. Man ahnt es beim Lesen und erfährt es spätestens auf der Heubühne, Gurney lag in diesem Punkt falsch. Zwei Leben, die über Briefform erzählt werden, so auszufüllen, dass wir diesen zwei Menschen folgen, als sässen wir bei ihnen, ist grosses Handwerk. Der Klang der Briefe wird von beiden grossartig übersetzt. Manchmal widerspiegelt der Ton den Inhalt. Im euphorischen, für Andy so untypischen «Rundbrief», den er auch Melissa schickt, ist Andys Ton alles andere als euphorisch und wir ahnen, was Melissa mit ihrer wuchtigen Reaktion auf diesen Brief dann ans Licht bringt; nichts mehr in seinem Leben läuft toll.
Die Dimension der Musik
Und dann ist da noch die Musik. Sie eröffnet eine eigene Dimension. Zentral wird die Pianistin Corina Gieré in van Ooyens Inszenierung auf der Bühne platziert, und dies zurecht. Intelligent ist die Wahl des Komponisten Francis Poulenc, dessen Stücke 50 Jahre Leben zu widerspiegeln vermögen. Eine Parallelisierung von Text und Musik wurde bewusst unterlassen, um Kitsch zu vermeiden. Gieré kann anderes mit dieser Musik. Sie deutet an, setzt wirkungsvoll Akzente und Pausen, rhythmisiert. Einmal mimt sie humorvoll das Besetztzeichen eines Telefons, es ist dies beim vergeblichen Versuch Melissas, die Kommunikation jetzt doch endlich auf das Echtzeit-Medium Telefon umzustellen.
Ein wahrlich zeitloses Stück
Udo van Ooyen bleibt häufig ganz nah bei den Regieanweisungen des Autors und vertraut so der Stärke des Textes und der Anlage des Stücks. So schauen sich Melissa und Andy wie vom Autor empfohlen erst ganz am Schluss an. Auch das reduzierte Bühnenbild entspricht den Bühnenanweisungen und entfaltet seine Wirkung sofort. Nichts, das ablenkt von den zwei Leben. Das Licht ist auf sie gerichtet. Ganz intim, so wie auch die Briefe es sind.
Die gelesenen Briefe übersäen zusehends den Boden. Andy zieht das Schreiben dem Telefonieren vor. Man könne Briefe immer wieder lesen, irgendwann, schwärmt er. Den letzten zerreisst Melissa, um auch zu spät nochmals in Opposition zu gehen. Recht behalten wieder beide, denn im Theater werden die Briefe immer und immer wieder gelesen werden. Nicht nur in dieser Hinsicht ist «Love Letters» ein zeitloses Stück.
«Love Letters» von A.R. Gurney, 8. bis 29. November. Heubühne, General-Wille-Strasse 169, Feldmeilen. Tickets und Vorverkauf unter Telefon 077 432 90 41 (Combox) oder online, www.ateliertheater-meilen.ch.
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