Amtliches, obligatorisches Publikationsorgan der Gemeinde Meilen
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Weshalb der «Seebub» Hosen trägt

Ortshistoriker Peter Kummer ist bekannt dafür, dass er seine Themen akribisch recherchiert. Für einen «virtuellen Dorfrundgang» hat er sich nun auf die Fährte von Skulpturen und Plastiken im öffentlichen Raum begeben und dabei Erstaunliches erfahren.

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Am Donnerstag letzter Woche präsentierte Kummer die Ergebnisse seiner Nachforschungen im Foyer des Löwen, dies im Auftrag der Vereinigung Heimatbuch Meilen. Die Recherchen waren aber auch von höchster Stelle gewünscht worden: Gemeindepräsident Christoph Hiller hatte beim Ortshistoriker schon vor einiger Zeit ein «Inventar öffentlicher Kunst auf Meilemer Gemeindegebiet» bestellt.

Vieles wurde von Privaten gestiftet

Meilen hat diesbezüglich tatsächlich einiges zu bieten. Werke sehr berühmter Künstler finden sich genauso wie Werke von Bildhauern, die in den letzten Jahrzehnten in Vergessenheit geraten sind. Gegen 40 Skulpturen und Plastiken stellte Kummer vor. Viele wurden von Privaten gestiftet, und nur zwei stammen von einer Frau: Sibylle Pasche (*1976), die ihr Atelier an der Toggwilerstrasse und in der Toscana hat, schuf je aus weissem Carrara-Marmor das eiförmige «Gioco d’Acque II» für die Seeanlage und die vielfach durchbrochenen «Spuren der Zeit – Zeitspuren» für die Alterswohnungen auf der Platten.

Im Dorf möglicherweise weniger bekannt als Pasche ist Bernar Venet (*1941). Dabei ist der Franzose ein weltweit bekannter Künstler, und seine «Spirale/Wellenschlag» in der kleinen Anlage beim «Sternen» westlich der Kirche, gestiftet von Charles Wunderly, ist sogar sein einziges Werk auf öffentlichem Grund in der Schweiz. Über ihn gibt es online reihenweise Filme und Aufsätze, so dass man die an sich nicht sehr auffallende «Spirale» mit ganz neuen Augen bewundert.

Von Marty zu Moore

Nur wenige Infos konnte Peter Kummer über Meinrad Marty aus Herrliberg (1909–1960) zusammentragen. Marty schuf den «Seebub», die Bronze zur Erinnerung an Leonhard Widmer, der den Schweizerpsalm dichtete. Das Werk steht seit 1958 in der Seeanlage Horn. Was kaum jemand weiss: Dieser Seebub ist bloss die Nummer zwei. Dafür trägt er kurze Hosen. Die erste Version, nackt, wurde nicht akzeptiert. «En Seebueb hät Hose a!», habe der damalige Gemeindepräsident Glogg verfügt und eine neue Plastik verlangt, die dann unter grösster Begeisterung der Bevölkerung eingeweiht wurde. Bildhauer Marty war zwar mit berühmten Künstlern befreundet, zu ihm selber gibt es aber nur wenig Informationen.

Dies wieder ganz im Gegensatz zu Henry Moore (1898–1986). Fünf Werke des berühmtesten britischen Bildhauers des 20. Jahrhunderts gibt es in der Schweiz. «Upright Motive 2» von 1973/74 ist eines davon, es steht im Friedhof beim Gemeinschaftsgrab, gestiftet von Willy Staehelin.

Am häufigsten vertreten ist Hans-Jakob Meyer

Weitaus am häufigsten vertreten ist indes der Feldner Hans-Jakob Meyer (1903–1981). Rund 20 Werke des Künstlers sind auf Gemeindegebiet verteilt: so etwa das stilisiert expressionistische «Fuchs und Gans» von 1963, verteilt auf zwei verschiedene Niveaus – die Gans sitzt auf dem Dach des Wartehäuschens an der Schifflände.

Der nächst beliebte Künstler im Dorf ist Hans Fischli (1909–1989), vertreten mit vier Werken. Fischli war Architekt und wurde erst mit 60 Jahren Bildhauer. Weshalb die grosse Kugel seines Marmorbrunnens «Kugelwunder/Wunderkugel» auf dem Dorfplatz oben abgeflacht ist, konnte übrigens auch Peter Kummer nicht erklären.

Dafür gelange es ihm, das älteste bildhauerische Werk auf Meilemer Boden ausfindig zu machen. Es befindet sich im Kreuzgewölbe der reformierten Kirche an der Decke, stammt von 1495 und zeigt die farbenfrohe Madonna eines unbekannten Künstlers. Angeblich bemängelte der Denkmalpfleger bereits im Laufe der Restauration das leuchtende Blau, worauf man sich beeilte, das Gerüst der Maler abzubauen und damit Fakten zu schaffen.

Von der Realität überholt wurde das inzwischen fast 70-jährige «Postlisi», die allegorische Wandskulptur des Uetikers Theo Wetzel (1899–1969), an der Hausecke Dorfstrasse 73. Das «Lisi» hat nämlich einen Poststempel in der einen und einen Telefonhörer in der anderen Hand und ist somit fast schon die Zeugin einer vergangenen Epoche.

Pünktlich schloss Peter Kummer seine Ausführungen nach den vorgesehenen 90 Minuten, worauf Heimatbuch-Präsident Hans Isler bereits den nächsten «virtuellen Rundgang» ankündigte: «Wirtschaftsgeschichten» wird sich im Februar 2023 Meilens Beizen und Restaurants widmen.

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