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(Un)heilsame Begeisterung

Pfingsten ist ein Fest, das allgemein auf positive Weise wahrgenommen wird. Der freie Pfingstmontag bringt eine willkommene Verlängerung des Wochenendes mit sich, die gerne hingenommen wird, zumindest in den Berufen, die dann tatsächlich frei machen können.

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Welchem Festinhalt haben wir diese geschenkte Zeit zu verdanken?

Vom Namen her bedeutet Pfingsten schlicht und einfach «Fünfzig», auf Griechisch «pentekoste». In den lateinischen Sprachen sowie im Englischen wird genau dieses Wort verwendet. Das deutsche «Pfingsten» geht auf die mittelhochdeutsche Fassung «phingeste» zurück. Der volle Name des Festes lautet «der fünfzigste Tag» und bezieht sich auf die Zeitspanne zwischen den jüdischen Festen Pessach (Auszugs der Israeliten aus Ägypten) und Schawout (ein Erntedank). Dies sind die zwei Tage, an denen wir Ostern und Pfingsten feiern.

Das Pfingstereignis beschreibt die Apostelgeschichte als ein Brausen vom Himmel her wie bei einem heftigen Sturm. Es ist von Feuerflammen als Zeichen der Geisterfüllung die Rede, die auf die Apostel und ihre Nächsten herunterkommen: «Und alle wurden vom Heiligen Geist erfüllt und begannen, in anderen Sprachen zu reden, wie es der Geist ihnen eingab.» (Apostelgeschichte 2,4). Die Menschen, die zuhörten, sollen ihre je eigene Muttersprache vernommen haben, was bei den einen Verwunderung und bei den anderen spöttische Bemerkungen hervorrief. Als Kind dachte ich bei diesen Versen oft: Wie praktisch, so sollten wir Sprachen lernen können! – Warum eigentlich nicht? So denke ich heute.

Werden die Dinge nicht einfacher, wenn wir sie geisterfüllt tun? Begeisterung erleichtert uns vieles, nur können wir sie nicht «machen», sie ist Geschenk. Die Menschen damals hörten Petrus, der voll des Geistes das Wort ergriff, zu. Er selbst liess sich ergreifen und begeistern, er liess sich treffen vom Geist, wurde zum Betroffenen. Sein ganzes Sein war in seine Worte involviert, die voll des Geistes waren. Das machte ihn authentisch, darum hörten ihm die Menschen zu.

Ist es heute, rund 2000 Jahre später, anders? Sind es nicht auch heute noch begeisterte Menschen, die etwas bewegen? Ob sie immer Gutes bewirken, steht auf einem anderen Blatt geschrieben. Von begeisterten Menschen kann Heil, aber auch Unheil ausgehen. Meines Erachtens kommt es auf die Bereitschaft zur inneren Auseinandersetzung mit dem eigenen Leben und zur Selbstreflexion an. Diese trägt entscheidend dazu bei, wie unsere Begeisterung auf die Welt um uns herum wirkt, wieviel Positives und Inspirierendes, beziehungsweise wieviel Schaden sie hinterlässt.

Wenn ich mir meiner eigenen Prägungen und Verwundungen bewusst werde, diese mit Liebe und Bescheidenheit anerkenne, einordne und verarbeite, trete ich aus dem Spiel im Sandkasten hinaus. Eine Konfrontation von aussen ist dann nicht immer gleich existenzielle Bedrohung. In der Folge gehe ich behutsamer mit meinem Umfeld um, muss nicht in allem Recht bekommen oder brillieren, brauche für meine Existenzberechtigung nicht mehr den «Unfehlbarkeitsanspruch», kann als Mensch, der mit beiden Beinen auf dem Boden und in sich steht, viel Aufbauendes bewirken.

Wenn wir Begeisterung in diese Richtung verstehen und leben, wird sie für die ganze Gesellschaft, die Einzelnen und nicht zuletzt für uns selbst zum Segen. An Pfingsten wünsche ich uns allen, dass wir im wahrsten Sinne des Wortes be-Geist-erte Menschen sind und es immer mehr werden. Ich wünsche Ihnen ein frohes Fest und gesegnete Pfingsttage.

/Mathias Zihlmann, Pfarradministrator

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