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«Spätestens beim dritten Bild beginnt Meyer zu wirken»

Es ist die kleinste Ausstellung, die der Schweizer Designer Alfredo Häberli je gestaltet hat: Im Ortsmuseum setzt er den Vedutenmaler Johann Jakob Meyer (1787 – 1858) in Szene. Die Ausstellung dauert noch bis am 17. Dezember.

Wie Alfredo Häberli, der mit seiner Familie seit bald zwanzig Jahren in Feldmeilen wohnt, ist auch Johann Jakob Meyer «ein Einheimischer». Der Maler wurde im Dorf geboren und war dreijährig, als sein Vater zusammen mit einem Miteigentümer das Haus «zum Bau» an der Kirchgasse 9 erwarb, wo der kleine Johann Jakob aufwuchs.

Später wurde er zu einem ausgezeichneten Aquarellisten und zum Vedutenmaler. Veduten sind so etwas wie die Vorläufer von Postkarten und Instagram-Posts: Die manchmal etwas geschönten Darstellungen von Landschaften dienten Touristen als visuelle Dokumentation und Erinnerung an besuchte Orte. Als Kupferstiche oder Lithografien konnten sie bereits vor 200 Jahren in grosser Zahl hergestellt werden.

Alfredo Häberli ist national und international vor allem für sein Möbel-, Produkt- und Industriedesign bekannt, hat aber schon während seiner Studienzeit Ausstellungen im Zürcher Museum für Gestaltung kuratiert und später für internationale Museen gearbeitet. Eine Aufgabe, die ihn fasziniert, «weil sie mir immer wieder neue Themen näherbringt – sei es japanische Kunst, Verpackungen oder eben Vedutenmalerei».

Die Arbeiten für die Meilemer Ausstellung dauerten rund ein Jahr und geschahen in Häberlis Studio im Zürcher Seefeld. Ein Jahr sei eine lange Vorbereitungszeit, sagt Häberli, so habe man aber auch sehr sorgfältig arbeiten können. Ermöglicht wurde die Schau von der Meilemer Alfred und Margaretha Bolleter Stiftung, die bereits seit 25 Jahren Johann Jakob Meyers Werke sammelt und der Öffentlichkeit zugänglich macht.

Wir haben uns mit Alfredo Häberli über seine Faszination fürs Zeichnen, das Farbkonzept der Ausstellung und den Wunsch nach Langsamkeit unterhalten – und darüber, welches Meyer-Bild er am liebsten bei sich zu Hause aufhängen würde.

Alfredo Häberli, wie kam es zur Zusammenarbeit mit dem Ortsmuseum?

Via unsere Nachbarin Judith Bollinger, die in der Kunstkommission der Bolleter Stiftung sitzt. Sie fragte ganz direkt, ob ich mir vorstellen könnte, eine Ausstellung über Johann Jakob Meyer zu gestalten. Ich konnte – aber es würde ein Niveau erfordern, das mit meinem Namen zusammenpasst.

Und dann gab es eine Ortsbegehung?

Ich kannte das Museum bereits als Besucher, aber ja: Nun betrat ich das Gebäude natürlich mit einem anderen Blick. Und merkte, das sind schöne Räume! Aber kann ich hier etwas realisieren, das meinem Anspruch gerecht wird? Anderseits habe ich schon sehr schwierige Räume bespielt, wie das Vitra Design Museum von Frank Gehry in Weil am Rhein etwa, das sich mit seiner starken Architektur, die sich in den Vordergrund drängt, sicher anspruchsvoller war. Schliesslich sagte ich: Das wird aber radikal, und niemand darf mir dreinreden – ich mache es genau so, wie ich es richtig und gut finde. Judith Bollinger sagte darauf, sie habe nichts anderes erwartet.

Wie entstand die Idee für das Konzept der Ausstellung?

Mir war schnell klar, dass ich die Bilder sicher nicht an die Wand hängen will, nur weil es da bereits ein Hängesystem gibt, das dazu einlädt. Um die Museumsräume zu betonen, habe ich deshalb mit meinem Mitarbeiter Dominic Plüer mehrere Modelle von architektonischen Interventionen oder Installationen erstellt, die die Räume bewusster und spannender machen. Mit den Holzwänden, an denen die Bilder nun hängen, entstehen neue Bereiche, die einen teilweise förmlich dazu zwingen, näher an die Bilder heranzutreten, um zu schauen. Neue Zwischenräume erzeugen eine Spannung von Distanz und Nähe.

Auffallend sind die modernen Farben, die Sie für die Wände verwenden. Apfelgrün, Petrol: im Gewölbekeller ist sogar der Boden in sattem Lavendel.

Wir glauben die Bilder zu kennen – auf weissem Hintergrund. Das Grün und das Petrol machen sie modern. Und damit die Werke nicht schon durch Goldrahmen und Passepartouts ein Alter zugeschrieben bekommen, präsentieren wir sie bewusst rahmenlos und ohne Legenden. Die Angaben zum einzelnen Bild findet man in einem Begleitheft.

Mussten Sie sich mit Johann Jakob Meyers Werk zuerst anfreunden oder war es Liebe auf den ersten Blick?

Es war vom ersten Moment an eine Faszination da, weil ich als Kind schon sehr früh mit meinem Schweizer Grossvater gezeichnet und abgezeichnet habe, sehr exakt sogar. Ich kenne das akribische Zeichnen eigentlich. Was ich verrückt finde: Wie Meyer zuerst an einen Ort wandern musste, um zu zeichnen und zu skizzieren, stundenlang, tagelang. Die Langsamkeit des Hinkommens. Heute gehen wir schnell irgendwohin, machen ein Foto und haben das Gefühl, wir hätten es gesehen.

Die Ausstellung fordert Langsamkeit ein.

Ich sage ja immer, «Beobachten ist die schönste Form des Denkens». Deshalb sollen die Leute genau hinschauen und Meyers Werk entdecken. Sie sollen idealerweise zur Ruhe kommen.

Was soll man als Besucher ins Ortsmuseum mitbringen?

Etwas Zeit. Vielleicht den Einführungstext an der Wand lesen, dann weiss man schon genug für die Entdeckungsreise. Ich glaube, beim dritten Bild spätestens beginnt Meyer zu wirken, egal, in welchem Raum man anfängt. Man soll sich ruhig intuitiv bewegen. Es muss etwas überspringen: Wenn man die Ausstellung verlässt, soll man im Herzen genährt sein und im Gefühl beflügelt, mehr kann ich nicht erwarten.

Was war die grösste Herausforderung bei der Gestaltung?

Nicht die Installationen, sondern die Auswahl der Werke aus einem Fundus von rund 800 Stück. Mein Mitarbeiter Dominic und ich haben etwa 100 davon ausgewählt.

Sind Sie als erfahrener Kurator noch immer nervös, wenn eine Vernissage ansteht?

Ob etwas funktioniert, weiss man erst, wenn es fertig ist. Man denkt sich das alles aus, es wird schrittweise aufgebaut, doch wenn es bei den Leuten dann tatsächlich ankommt, ist das für mich, als ob ich einen Oscar überreicht bekäme. Es waren auch ein paar Sammler an der Vernissage, die sich sehr begeistert gezeigt haben. Das sind immer die anspruchsvollsten Kunden, weil sie am meisten von der Materie verstehen.

Was für ein Meyer-Bild würden Sie am liebsten bei sich zu Hause aufhängen?

Die Kunst des Könnens, das Handwerk, das er beherrschte, sein Fotorealismus – das ist ist von der Technik her wunderbar. Gerade Aquarell zu malen ist das Schwierigste überhaupt. Ich frage mich, wie er das so perfekt gemacht hat. Persönlich wäre mir aber eine unfertige Bleistiftzeichnung am liebsten. Das sind seine modernsten Werke: Skizzen, die jeder Betrachter selbst zu Ende denken kann.

«Detail Reich – Die Entdeckung des Unsichtbaren», Ausstellung mit Werken von Johann Jakob Meyer. Ortsmuseum Meilen, Kirchgasse 14. Offen samstags und sonntags 14.00 – 17.00 Uhr, noch bis 14. Dezember. Der Eintritt ist gratis.

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