Wie Brigitte Duvillard von der Fondation Rilke, Sierre, in ihrer Ansprache sagte, stand Rilke selber diesem Datum eher skeptisch gegenüber. Das ist belegt, denn er erwähnte es in einem der rund 10’000 Briefe, die er im Laufe seines Lebens schrieb – die 468 erhaltenen Briefe an die Meilemerin Nanny (sprich: «Nanni») Wunderly-Volkart gehören zu den wichtigsten darunter. «Dass sich Rilke gefreut hätte, gerade heute durch seine Briefe in Meilen zu sein, bezweifle ich aber nicht», sagte Brigitte Duvillard weiter.
Unterstützt von vielen Mäzenen
Entstanden ist die Schau als Neuauflage einer Ausstellung im Wallis, sie ist also quasi, wie seinerzeit die vielen hundert Briefe, aus der welschen Schweiz an den Zürichsee gereist. Und sie stiess auf grosses Interesse.
Trotz garstigem Wetter fanden sich zahlreiche Meilemerinnen und Meilemer im Gewölbekeller des OMM ein – es mussten sogar zusätzliche Stühle herbeigeschafft werden. Eingeleitet wurde der feierliche Anlass durch sanfte Harfenklänge von Priska Zaugg, die über den ganzen Abend verteilt Kompositionen aus Rilkes Geburtszeit 1875 spielte. Der Ausstellungsverantwortliche Edgar Hiltebrand vom Ortsmuseum schilderte anschliessend, wie die Ausstellung nach Meilen gekommen ist und wie viel Fronarbeit es dafür benötigte.
Rilke lernte Nanny Wunderly an einer Lesung in Zürich-Hottingen Ende 1919 kennen. Sie war die Gattin von Hans Heinrich Wunderly, angesehener Gerbereibesitzer in Meilen und vermutlich selber ein Bewunderer des Lyrikers. Rilke wurde zeitlebens von Mäzenen unterstützt, die ihm oft auch eine Unterkunft zur Verfügung stellten. Nanny Wunderly-Volkart (1878–1962) hatte jedoch eine Sonderstellung inne: Die hübsche Meilemerin war bis zu seinem Tod Ende 1926 seine engste Vertraute, auch besuchte er sie viele Male in ihrer Heimat.
Dass er sich im Dorf wohlfühlte, verraten die Zeilen, die er am 29. Dezember 2019 an «Nike» schrieb: «… in Meilen ankommen –, das ist für mich das Schönste, Vollkommenste. Das müsste eine Redensart werden für das Beste, was einem auf Erden widerfahren kann.»
Allzu Persönliches wird ausgeklammert
In seiner Korrespondenz wahrte Rilke indes immer eine gewisse Distanz, und wer darin nach intimen Einzelheiten und allzu Persönlichem sucht, wird nicht fündig. Rilke besprach mit Nanny, die er nach der griechischen Siegesgöttin «Nike» nannte, seine dichterische Arbeit, stellte aber auch Ansprüche: Einmal verlangte er von ihr Taschentücher – weiss und mit seinem Monogramm bestickt.
Nanny Wunderly-Volkart vermachte Rilkes Briefe 1951 der Schweizerischen Nationalbibliothek, 1977 wurden sie in einer zweibändigen Ausgabe von Rätus Luck herausgegeben. Nanny Wunderlys eigene Briefe wurden leider bisher nicht veröffentlicht, sie sind auch im Ortsmuseum nicht zu sehen.
Wie vertraut die beiden waren, zeigt sich auch an den vielen verschiedenen Anreden, die Rilke für seine Meilemer Brieffreundin verwendete, eine Auswahl davon ist als Lichtinstallation beim Eingang des Ortsmuseums zu sehen.
Schrifttafeln mit Faksimiles einzelner Briefe des Dichters– die Originale befinden sich im Literaturarchiv Bern – und Erläuterungen führen durch die Ausstellung. Oft war das Entziffern nicht ganz einfach, denn Rilke wechselte nicht nur mitten im Satz zwischen Deutsch und Französisch, sondern auch zwischen Schreib- und Sütterlinschrift.
Ein Gruss des Urenkels
Einen anrührenden Gruss überbrachte Nanny Wunderly-Volkarts Urenkel Christopher Wunderly, der bis heute in Meilen wohnt (auch Urenkel Charles mit Ururenkelin Sophie waren anwesend, ebenso Enkelin Mireille Wunderly, Künstlerin, Zürich). Eindrücklich trug Christopher Wunderly das Gedicht «Der Panther» vor, das Rilke 1902 verfasst hatte, und welches der junge Christopher im Gymnasium auswendig lernen musste. Erst in diesem Zusammenhang erfuhr er von seiner Grossmutter, dass seine Urgrossmutter einst mit dem Dichter befreundet gewesen war, was ihn mit grossem Stolz erfüllte.
Auch ganz schlichten, nicht vergeistigten Genüssen war der berühmte Lyriker zugeneigt. So ass er einst einen «Wecken», von dem er an Nanny Wunderly schrieb: «… und nun kommt der ‘Wecken’ aus Meilen, der jeden hiesigen Stollen ins Gebiet der Unessbarkeit hinuntersetzt». In Erinnerung an diesen Genuss gibt es ab sofort in der Bäckerei Markus Brandenberger an der Kirchgasse einen Rilke-Wecken zu kaufen, ein feines, an Panettone erinnerndes Hefegebäck, das die Vernissagebesucher beim anschliessenden Apéro direkt persönlich probieren konnten.
Veranstaltungen im OMM
Das OMM organisiert während der Dauer der Ausstellung diverse Veranstaltungen im Museum an der Kirchgasse 14: Sonntag, 12. Dezember, 17.00 Uhr, Lesung; Sonntag, 9. Januar, 17.00 Uhr, Hommage; Sonntag, 23. Januar, 14.30 Uhr Vortrag und 15.30 Uhr Führung; Samstag, 5. Februar, 17.00 Uhr Lesung.
Öffnungszeiten: jeweils Freitag 17.00 bis 20.00 Uhr und Samstag/Sonntag 14.00 bis 17.00 Uhr. Noch bis 13. Februar, geschlossen 20. Dezember bis 6. Januar.
www.ortsmuseum-meilen.ch