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Neulich war ich in der Bar und trank ein Bier. Ich musste gar nicht hinschauen, um zu wissen, dass Roger in sehr gedrückter Stimmung war. Wir stiessen an. Und schwiegen. Dann fragte ich:
«Vielleicht hilft es, wenn du die Sache anders ansiehst.» – «Wie denn?», fragte Roger mürrisch und starrte weiter auf sein Glas. «Kannst du dich noch an André Bucher erinnern?» Roger sah mich von der Seite an. «Wie kommst du auf den?» – «Er war lange der beste Schweizer Läufer über 800 Meter und lief auch stets an der Weltspitze mit.» Das half Roger noch nicht weiter. «Na und?», fragte er. «Der hat zuerst auch immer nur zweite Plätze erspurtet», erklärte ich. «Immer wieder hiess es: Wieder nur Zweiter!» Roger nickte, fragte dann aber mit vorwurfsvollem Ton: «Und wie soll mir das jetzt helfen?» – «Bucher und sein Team haben sich irgendwann gefragt: Was ist eigentlich so schlecht an einem zweiten Platz? Das bedeutet doch immerhin: Alle anderen waren langsamer. Nur einer war schneller.» – «Schon klar», meinte darauf Roger. «Alle anderen Mannschaften waren schlechter, nur eine war besser.» – «Genau», bestätigte ich. «Unsere Eishockey-Jungs sind immerhin die Zweitbesten der Welt!» Rogers Stimmung besserte sich allmählich. «Das Problem ist einfach, das Turnier endet mit einer Niederlage. Und das fühlt sich nicht gut an. Das ist anders, wenn du als Zweiter über die Ziellinie rennst.» Da hatte er nicht unrecht. «Das ist psychologisch unschön», gab ich zu. «Und wenn man wiederholt Silber gewonnen hat, möchte man auch mal die Goldmedaille um den Hals hängen haben», fügte Roger an. Ich schwieg einen Moment und sagte dann: «Bucher hat sie schliesslich gewonnen, die WM-Goldmedaille.» – «Ja, aber die Eishockey-Nati eben noch nicht!» Roger wurde wieder ärgerlicher. «Ich will nur sagen, früher oder später werden unsere Hockey-Jungs auch Gold nach Hause bringen. Manchmal braucht es einfach seine Zeit.» Roger nahm einen kräftigen Schluck und sagte dann mehr vor sich hin: «Verdammt! Wir waren so nah dran.» Ich bestellte noch eine Runde und hörte Rogers Klagen eine Weile zu. Dann bezahlte ich. «Bis nächste Woche», sagte ich zu Jimmy, und der antwortete: «Bis in einer Woche.» Ich trat in die Frühlingsnacht hinaus. Es regnete. Ich schlug den Kragen hoch und dachte: Also ich find’s super, dass wir Silber gewonnen haben.
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