Amtliches, obligatorisches Publikationsorgan der Gemeinde Meilen
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Neulich in Meilen: Was sich nie ändert

Neulich sass ich in der Bar und trank ein Bier. Da kam Roger herein und setzte sich neben mich. «Das wird sich wohl nie ändern», meinte er und gab mir einen Klaps auf die Schulter, «immer, wenn ich hierherkomme, bist du auch schon da.» – «Nun», meinte ich leicht skeptisch, «irgendwann wird sich das schon ändern. Spätestens wenn ich tot bin, werde ich nicht mehr hier sitzen und mit dir anstossen.»

Roger hatte keine Lust, auf meinen Tiefsinn. Zu gut war seine Laune. «Am Sonntag hatten wir Besuch», begann er zu erzählen. «Meine Nichte war mit ihrer Familie da.» – «So wie du klingst, muss das ein schöner Tag gewesen sein.» – «Seit knapp einem Jahr hat sie ein Mädchen. Am Wochenende habe ich sie zum ersten Mal gesehen.» – «Sind süss, die Kleinen, nicht?» – «Du hättest dieses runde, offene Gesicht sehen sollen. Die muss man einfach gern haben!» – «Siehst du, und das ist nun wirklich etwas, das sich nie ändern wird.» – «Was meinst du?» – «’Der bestirnte Himmel über mir und das moralische Gesetz in mir›, hat mal ein kluger Kopf gesagt, diese Erfahrung wird sich nie ändern.» – «Wie bitte?» – «Auch in hundert Jahren werden wir Menschen noch über die Schönheit und Grösse der Welt staunen. Gleichzeitig werden wir auch in hundert Jahren erleben, dass wir ein Teil der Welt sind und Verantwortung tragen.» – «Ich habe doch keine Verantwortung diesem Kind gegenüber.» – «Wenn die Kleine mit einem Messer zu spielen beginnt, wirst ohne zu überlegen ihr das Messer wegnehmen.» – «Klar!» – «Du übernimmst also Verantwortung für das Wohlergehen der Kleinen.» Nun liess er sich doch auf meinen Tiefsinn ein. Er dachte nach. Dann fasste er für sich zusammen: «Wir sind kosmischer Staub und gleichzeitig wichtig für die Welt, in der wir leben.» Ich nickte. «Und diese Erfahrung wird sich nie ändern», fügte ich an. «Überwältigt vom Kosmos, werden wir nicht anders können, als das Leben vor dem unbedachten Gebrauch von Messer und Schere zu schützen.» Wir plauderten noch eine Weile und bezahlten schliesslich. Wie immer verabschiedete ich mich danach von Jimmy. «Bis in einer Woche!» Und wie immer rief er zurück: «Bis nächste Woche!» Auch dieses Ritual wird sich dereinst ändern. Aber hoffentlich noch nicht allzu bald.

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