- Kolumne
- Beni Bruchstück
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Neulich sass ich in der Bar und trank ein Bier. Roger und ich stiessen an. «Das Wetter hat dieses Mal an Pfingsten gut mitgemacht», meinte ich zum Einstieg.
«Sonst regnet es an Pfingsten doch immer.» – «Dafür war der Stau am Gotthard länger als sonst.» – «Du hast dir den Pfingststau angetan?», fragte ich verwundert. «Endlich hat man mal ein paar Tage Zeit, und das Tessin ist schön», rechtfertigte sich Roger. «Wie lange bist du am Gotthard gestanden?» Roger überlegte kurz. Dann sagte er: «Drei Stunden waren es schon. Aber eben, das Wetter war gut, und wir haben viel geredet.» – «Wir? Geredet?», fragte ich interessiert, da Roger sonst kaum aus seinem Privatleben erzählte. «Meine Schwester und ich sind zusammen gefahren. Wir haben von den Eltern ein Ferienhäuschen im Maggiatal geerbt. Da mussten wir ein paar kleinere Dinge flicken und einige Entscheidungen treffen. Du weisst schon: Das Dach muss repariert werden und so weiter.» – «Ja, so ein Haus bietet viel Gesprächsstoff.» – «Das war ja das Besondere! Im Auto haben wir kaum über das Haus geredet», meinte Roger. «Wir haben viel über uns und unsere Eltern gesprochen.» – «Klingt spannend.» – «Das war es auch. Ich meine, wir hatten doch dieselben Eltern. Aber wir haben sie ganz unterschiedlich erlebt!» – «Zum Beispiel?» – «Ich habe meine Schwester immer darum beneidet, dass Mutter morgens sich soviel Zeit für sie nahm, um ihr die Haare zu richten, während sie mir immer nur schnell eine Schüssel mit Cornflakes hinstellte. Umgekehrt war meine Schwester neidisch auf mich, weil Vater am Wochenende immer mit mir zum Fussball ging, während sie zu Hause bei Mutter bleiben und Kartenspiele spielen musste.» – «Das ist wirklich interessant!» – «Nicht wahr?» Roger war so begeistert, als hätte er es gerade eben erst erlebt. «Ich glaube wir haben noch nie so lange und intensiv miteinander über uns gesprochen wie dort im Stau. Wir waren uns nie besonders nahe. Aber nun habe ich das Gefühl, eine Freundin in ihr zu haben.» – «Da hat euch der Pfingstgeist im Pfingststau angehaucht», meinte ich mit einem Schmunzeln. «Könnte man so sagen», bestätigte Roger. Wenig später klopfte ich Roger auf die Schulter und verabschiedete mich. «Bis in einer Woche!», rief ich Jimmy zu. Und der antwortete «bis nächste Woche». Als ich die Bar verliess, dachte ich nur: Der Geist weht eben wo er will!
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