Amtliches, obligatorisches Publikationsorgan der Gemeinde Meilen
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Neulich in Meilen: Gott

Neulich sass ich in der Bar und trank ein Bier. «Würdest du», fragte ich Roger, nachdem wir angestossen hatten, «würdest du Sterbehilfe in Anspruch nehmen?» – «Wow», meinte er, nicht wenig überrascht. «Du bringst Themen mit in den Feierabend!» – «Ich habe ‹Gott› auf der Heubühne gesehen. Da geht es um eine Frau, die sterben will.

Im Stück wird nun erörtert, ob man ihr das todbringende Mittel aushändigen soll oder nicht.» – «Und wie war’s?» – «Das Atelier Theater bot wie immer eine hervorragende Inszenierung. Das Besondere aber war, dass die Zuschauer am Schluss abstimmen konnten. Wie hättest du gestimmt?» – «Also ich weiss nur, dass mein Vater am Schluss zwei Jahre lang an Schläuchen hing. Das war kein Leben mehr. Dann mache ich lieber gleich Schluss.» – «Das verstehe ich. Aber die Frau, um die es ging, war zwar alt, aber gesund. Sie sah einfach keinen Sinn mehr in ihrem Leben.» – «Schwierig. Aber wenn sie sterben will…» Roger sprach nicht weiter und nahm stattdessen einen Schluck. Also erzählte ich weiter: «Auf der Bühne wurde viel mit diversen Sachverständigen diskutiert. Und man ging innerlich mit allen Pros und Contras mit. Am meisten aber hat mich die Schlussfrage des Anwalts der besagten Frau zum Nachdenken angeregt.» – «Nämlich?» – «Wem gehört mein Leben?» – «Na, mir. Wem denn sonst?» – «Deinen Mitmenschen zum Beispiel. Oder Gott, der dir das Leben geschenkt hat. Gehört es wirklich nur dir?» Roger seufzte: «Du stellst Fragen! Das habe ich mir so noch nicht überlegt.» – «Ich denke, man muss diese Frage beantworten, bevor man sich ein todbringendes Mittel geben lässt.» – «Und was würdest du antworten?» – «Mein Leben gehört mir, aber auch Gott und den Mitmenschen.» – «Und wer entscheidet denn nun?» – «Das ist der Punkt. Das kann nur ich. Ich denke, es ist meine Pflicht, die Angelegenheit mit den Menschen und mit Gott zu besprechen. Aber wie bei jeder anderen Lebensentscheidung auch, bin ich es, der schliesslich entscheiden muss.» – «Und wie hat das Publikum entschieden?» – «Das sag ich nicht. Schau es dir selber an. Es lohnt sich.» Roger hätte gerne noch weiter geplaudert. Vor allem über schönere Themen. Aber ich musste weiter. Ich zahlte und rief zu Jimmy: «Bis in einer Woche!», und er rief zurück: «Bis nächste Woche.» Ich trat nach draussen und merkte, dass ich weiter über «Gott» nachdenken muss.

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