Amtliches, obligatorisches Publikationsorgan der Gemeinde Meilen
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Neulich in Meilen: Frühjahrsmüdigkeit

Neulich sass ich an der Bar und trank ein Bier. «Na, wie geht’s?» fragte ich Roger, als unsere Gläser aneinanderklirrten.

«Ich hatte Ferien. Mir geht’s gut. Allerdings komme ich seither nicht mehr richtig auf Touren.» – «Kenn ich», sagte ich und nippte an meinem Glas. Dann setzte Roger wieder ein: «Wenn ich im Büro mal einen halben Morgen lang für mich arbeiten muss und nicht raus zu den Kunden kann, muss ich gegen den Schlaf kämpfen.» – «Wir werden eben auch älter», versuchte ich eine Erklärung. Doch Roger gab sich damit nicht zufrieden. «Das kenne ich nicht von mir. Das ist die Frühjahrsmüdigkeit. Kann das sein, dass die mit dem Klimawandel stärker geworden ist?» Ich sah ihn von der Seite an und schüttelte den Kopf. «Ich weiss doch noch genau, wie meine Eltern nach dem Mittagessen einen Mittagsschlaf gemacht haben», sagte ich. «Neudeutsch: Powernap.» – «Das haben meine Eltern auch gemacht. Aber die waren ja auch schon alt», entgegnete Roger. Wieder sah ich ihn leicht schmunzelnd an. «Und wie alt waren sie damals?», fragte ich. Roger dachte nach. Dann runzelte er die Stirn und dachte wohl noch intensiver nach. «Die waren damals… du hast recht, die waren damals in unserem Alter.» – «Siehste! Das ist der Lauf der Natur. Wir werden alle nicht jünger.» Wir tranken beide. Dann fragte Roger: «Und du kennst das auch?» Ich nickte. «Ich komme morgens zwar gut in die Gänge, aber gegen Mittag wird’s zäh. Und auch ich lege mich nach dem Essen kurz hin. Anschliessend geht’s wieder sehr gut weiter.» – «Dann ist das gar nicht die Frühjahrsmüdigkeit, sondern einfach das Alter?», fragte Roger. «Ich denke, es ist schon auch die Frühjahrsmüdigkeit. Wir spüren sie jetzt einfach stärker», meinte ich. «Dann», fragte Roger, «meinen das die Life Coaches, wenn sie vom Frühling im Herbst des Lebens sprechen?» – «Das wird wohl so sein», meinte ich schmunzelnd. Es dauerte noch eine ganze Weile, bis unser erstes Glas leer war. Wir waren zu müde, um es schnell zu trinken. Und noch eins zu bestellen, war mir dann auch zu anstrengend. Ich bezahlte und sagte zu Jimmy: «Bis in einer Woche.» Und er antwortete: «Bis nächste Woche.» Ich trat nach draussen, schlug den Kragen hoch und lief gemütlich durch den leichten Nieselregen. Und freute mich darauf, dass ich bald ins Bett durfte.

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