Amtliches, obligatorisches Publikationsorgan der Gemeinde Meilen
AZ Meilen · Bahnhofstrasse 28 · 8706 Meilen · Telefon 044 923 88 33 · info(at)meileneranzeiger.ch

Amtliches, obligatorisches Publikationsorgan der Gemeinde Meilen

Neulich in Meilen: Freunde

Neulich sass ich in der Bar und trank ein Bier. «Na, wie waren deine Tage?», fragte Roger, nachdem sich unsere Biergläser mit einem dumpfen «Klick» berührt hatten.

«Ganz ok», meinte ich, fügte dann aber noch an: «Ich war am Wochenende bei einem grösseren privaten Anlass. Liebe Leute haben eine Art Garagenverkauf gemacht. Dazu gab es Wurst und Wein.» – «Das klingt doch sehr angenehm», erwiderte Roger. «Das war es auch, bis ich auf Freunde traf, die ich lange nicht mehr gesehen hatte. Ich freute mich sehr darüber, doch sie haben sich eigenartig verhalten. Ungelenk begrüssten sie mich und wandten sich dann schnell wieder ihren Gesprächspartnern zu. Als ob ich ihnen unangenehm wäre.» – «Was hast du getan? Hast du sie kürzlich beleidigt? Komm, denk nach», sagte Roger. «Genau das habe ich mich natürlich auch gefragt. Aber ich kann mich an nichts erinnern. Die gelegentlichen Mails, die wir ausgetauscht hatten, endeten auch von ihrer Seite immer mit: ‹Hoffentlich sehen wir uns bald mal wieder› oder so ähnlich.» – «Hm.» Roger dachte nach. «Vielleicht wollten sie dir eine geheime Botschaft mitteilen: ‹Wir sind nicht freiwillig hier. Wir werden erpresst. Bitte ruft die Polizei.›» – Nun dachte ich einen Moment nach. Dann schüttelte ich den Kopf. «Nein, kann nicht sein. Später haben sie mich zu sich geholt. Ich durfte neben ihnen Platz nehmen. Nach der klassischen Einstiegsfrage im Sinne von: ‹Was machst du gerade?›, begann ich zu erzählen, sie aber konnten gar nicht schnell genug aufstehen und jemand anderes begrüssen.» – «Damit ist klar, dass keine Waffe auf sie gerichtet war. Sonst hätten sie sich das nicht getraut.» – «Genau. Ich habe das nicht verstanden.» Dann sah mich Roger an und meinte nüchtern: «In dem Fall liegt es doch an dir. Die wollten einfach nicht mit dir gesehen werden.» – «Ja, ich weiss, ich bin eine wandelnde Peinlichkeit. Wenigstens schämst du dich nicht, mit mir ein Bier zu trinken.» – «Ach, hier an der Bar im gedimmten Licht sieht eh niemand, mit wem ich zusammensitze.» Ich versetzte ihm einen kräftigen Stoss in die Seite, so dass sein Bier überschwappte. «Hey!» rief er lachend. Ich zahlte und rief zu Jimmy: «Bis in einer Woche!» Und er antwortete: «Bis nächste Woche!» Ich trat nach draussen und dachte: Freunde sind schon eine seltsame Spezies von Mitmenschen.

teilen
teilen
teilen

Weitere aktuelle Artikel in der Kategorie Kolumne

Weiterlesen
Weiterlesen
Weiterlesen