Amtliches, obligatorisches Publikationsorgan der Gemeinde Meilen
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Neulich in Meilen: Einfach nichts tun

Neulich sass ich an der Bar und trank ein Bier. Es schmeckte köstlich und auch Roger wischte sich zufrieden den Schaum von der Oberlippe. «Und, wie läuft’s?», fragte er schliesslich.

«Ich zehre immer noch vom vergangenen Wochenende. Das war richtig gut», antwortete ich. «Was hast du denn gemacht?» – «Nichts!» – «Gar nichts?» – «Rein überhaupt gar nichts. Null. Nada. Nietschewo.» – «Aber sind Sonntage nicht genau dazu da?», fragte Roger. «Schon. Aber meistens hat man ja trotzdem etwas los.» – «Naja, der übliche Besuch, schon klar.» – «Diesmal aber war ich nirgends eingeladen und erwartete auch niemanden.» – «Und wie war’s?» – «Es war erst eine seltsame Erfahrung. Denn man ist es ja nicht gewohnt, nichts zu tun. Und natürlich hatte ich mir vorgenommen, da und dort etwas aufzuräumen, mal wieder ein Buch hervorzunehmen oder einen fälligen Brief zu schreiben.» – «Das kenne ich», sagte Roger. «Und schon ist der ganze Sonntag wieder voll verplant.» – «Das Besondere diesmal war», erzählte ich begeistert, «dass ich zu allem viel zu müde war.» – «Dann hast du gar nichts gemacht?» – «Wie ich gesagt habe. Ich habe zwar verschiedene Dinge angepackt, aber dann gemerkt, dass ich dazu keine Kraft habe.» – «Du meinst keine Lust», präzisierte Roger. «Das ist in dem Fall dasselbe. Ich war von den vorangehenden Wochen so müde, dass ich mich an diesem Sonntag, an dem nichts in der Agenda stand, zu nichts aufraffen konnte.» – «Ich weiss nicht, ob ich das könnte», meinte Roger. «Das war ja das Spannende an dieser Erfahrung. Ich hatte unentwegt ein schlechtes Gewissen. Stets hörte ich diese inneren Stimmen wie ‘du kannst doch jetzt nicht einfach nichts machen’, oder ‘nutz doch die Zeit, dies und das zu erledigen’, oder ‘das wolltest du doch schon lange einmal machen, jetzt hast du Zeit’.» – «Ja, diese Stimmen kenne ich», bestätigte Roger. «Ich brauchte den halben Tag, bis ich mir keine Vorwürfe mehr fürs Nichtstun machte», sagte ich. «Ab dann begann ich es zu geniessen.» – «Wir sind halt arbeitsame Wesen. Pflichtbewusst und fleissig.» – «Ist eindrücklich, wie einen das prägt.» Schliesslich zahlte ich und verabschiedete mich bei Jimmy: «Bis in einer Woche.» – «Bis nächste Woche», antwortete er. Ich schlenderte nach Hause und genoss noch ein wenig die Erinnerung an dieses angenehme Gefühl des Nichtstuns.

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