Amtliches, obligatorisches Publikationsorgan der Gemeinde Meilen
AZ Meilen · Bahnhofstrasse 28 · 8706 Meilen · Telefon 044 923 88 33 · info(at)meileneranzeiger.ch

Amtliches, obligatorisches Publikationsorgan der Gemeinde Meilen

Neulich in Meilen: Die Welt entdecken

Neulich sass ich in der Bar und trank ein Bier. Roger war auch da und erzählte von seinem Nachbarn: «Nun habe ich für ein Wochenende seinen Hund gehütet. Ich habe Dir doch von seinem jungen Hund und den zwei Kätzchen erzählt.» Ich konnte mich dunkel daran erinnern.

«Ich habe sie für ein paar Tage übernommen, damit er mit seiner Frau mal wegkonnte.» – «Eine nette Geste», sagte ich anerkennend. «Wir haben’s gut miteinander, und da hilft man sich auch gerne mal aus. Ich hatte also für zwei Tage den noch etwas ungestümen Junghund und die beiden Kätzchen zu versorgen.» – «Katzen sind ziemlich selbständig, oder?» – «Das stimmt schon», bestätigte Roger. «Aber auch sie brauchen von Zeit zu Zeit Ansprache und körperliche Nähe. Der Hund aber», Roger nahm einen Schluck, «der braucht Bewegung.» – «Das ist ja gesund», meinte ich. «Genau», bestätigte Roger. «Das Wunderbare aber war, mitzuerleben, wie er die Welt entdeckt. Für einen Spaziergang, den ich allein in zehn Minuten zurückgelegt hätte, brauchte der Hund mindestens eine halbe Stunde. Und zwar nicht, weil er nicht schneller hätte laufen können.» – «Sondern?» – «Es gab überall so viel für ihn zu entdecken! Nicht nur musste er an allem, aber wirklich an allem lange schnuppern. Er setzte sich auch immer wieder hin, spitzte die Ohren und beobachtete, was es da in dieser Welt zu sehen und zu hören gab.» – «Das sind für ihn eben alles neue Eindrücke», sagte ich. «Plötzlich beginnst du selber, auch neu hinzuhören», fuhr Roger fort. «Auf einmal achtest du die Bauarbeiter in der Ferne. Und du staunst, weil du sogar jetzt im Win-ter ein paar Vögel zwitschern hörst.» – «Lauter Geräusche, die wir nicht mehr wahrnehmen.» – «Mit dem jungen Hund habe ich unsere Welt neu entdeckt. Das war schon ein schönes Erlebnis.» – «Nur schade, dass man dann die Kleinen wieder abgeben muss», sagte ich. «Ach, weisst Du, das alles ist auch anstrengend, und so war ich nicht unglücklich, als mein Nachbar am Sonntagnachmittag wieder übernahm.» Ich schmunzelte und auch er zwinkerte mir zu. Schliesslich zahlte ich und brach auf. «Bis nächste Woche», sagte ich zu Jimmy. «Bis in einer Woche», antwortete er. Ich trat in die winterkalte Nacht hinaus und nahm mir vor, auf dem Heimweg meine Welt wahrzunehmen, als würde ich sie wie der junge Hund zum ersten Mal sehen. Ich freute mich schon auf meine Entdeckungen.

teilen
teilen
teilen
XING
WhatsApp

Weitere aktuelle Artikel in der Kategorie Kolumne

Weiterlesen
Weiterlesen
Weiterlesen