Amtliches, obligatorisches Publikationsorgan der Gemeinde Meilen
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Amtliches, obligatorisches Publikationsorgan der Gemeinde Meilen

Nachgepudert wird von Hand

Meilen ist die Fasnachtschüechli-Hauptstadt der Schweiz: Im Produktionsgebäude der Delica mitten im Dorf werden in der Saison knapp 900’000 Chüechli frittiert – pro Tag. Letzte Woche durften die Medien einen Blick in die heiligen Hallen von Teig, Puderzucker und Maschinen werfen.

Absolute Sicherheit und Hygiene sind oberstes Gebot bei der Chüechliproduktion. Deshalb müssen alle Schmuckstücke in der Garderobe deponiert werden (ein Ohrring könnte sonst in den Teig fallen), lackierte Fingernägel verschwinden in Gummihandschuhen (der Lack könnte absplittern), die Schuhe erhalten gleich zwei Sicherheitsüberzüge und Männer mit Gesichtsbehaarung zwei Haarnetze – eines dient der Sicherung der Bartstoppeln. Nun noch gründlich die Hände waschen, auf die Schutzbrille dürfen die Besucher verzichten.

Neun Tonnen Mehl pro Tag

Der Weg ins Chüechli-Paradies führt durch verschlungene, teils unterirdische Wege vom Empfang an der Stelzenstrasse in das zürichseits gelegene Gebäude an der Bruechstrasse. In einem langen Tunnel duftet es süsslich, eine übergrosse Metalltür schwingt auf, und schon ist man umgeben von Puderzuckerluft, Hitze und Lärm.

«Wir befinden uns hier direkt am Herz der Chüechliproduktion», ruft Stefan Schmucki über den Maschinenlärm der vier Chüechli-Linien, der die Halle füllt. Der gelernte Bäcker/Konditor ist Bereichsleiter Produktion Glace und Fasnachtschücheli. Die Kombination Glace und Chüechli ergibt Sinn, denn wenn im Winter die Chüechli-Produktion auf Hochtouren läuft, gibt es für das Personal bei der Glace weniger zu tun und umgekehrt, und so können die rund 24 Mitarbeitenden pro Schicht flexibel eingesetzt werden. Gearbeitet wird in drei Schichten an fünf Tagen pro Woche.

Das Herz der Anlage also: Hier wird in grossen Bottichen der Teig gemixt und geknetet, für den es an einem einzigen Tag bis zu 9 Tonnen Weizenmehl, 80’000 Freiland-Eier, 3½ Tonnen Puderzucker sowie Salz, Joghurt und Kirsch braucht. Die Zutaten plumpsen aus grossen Zufuhrschächten in die riesigen Teigschüsseln. Pro Saison sind es rund 20 Millionen oder 700 Tonnen Chüechli – etwa zwei Drittel davon gross, ein Drittel kleine «Minis» –, welche Meilen in Sechserpackungen verlassen.

Täglich werden sie per Bahn mit zehn Güterwaggons in der ganzen Schweiz verteilt. Nach eigenen Angaben ist die Migros in der Schweiz klare Marktleaderin im Bereich Fasnachtschüechli. Produziert wird übrigens in kleinen Mengen auch für andere Händler wie etwa Denner, Spar oder Volg.

Alle 48 Stunden ist Ölwechsel

Noch ist der Teig aber weit davon entfernt, ein knusprig-luftiges Chüechli zu sein. Vielmehr wirken die ziegelförmigen braunbeigen Quader auf den Laufbändern ziemlich behäbig. Sie durchlaufen nun etliche Walzen, bevor sie schliesslich hauchdünn als kreisrund ausgestochene Teigblätze im Ofen verschwinden, der eigentlich eine viele Meter lange Fritteuse ist. Im 220-grädigen Tauchbad werden pro Tag 8½ Tonnen Sonnenblumenöl verbraucht. Das Öl wird regelmässig kontrolliert und alle zwei Tage gereinigt beziehungsweise gewechselt, wobei der «Ölwechsel» jeweils acht Stunden Betriebsunterbruch bedeutet.

Im heissen Tauchbad erhalten die Chüechli nun in Zweierkolonne das charakteristische, wellige Muster aufgedrückt, bevor sie anschliessend, noch triefend, von oben her «abgeflämmt» werden: «Das gibt ihnen Farbe», erklärt Stefan Schmucki, «sonst wären sie nämlich schneeweiss.» Die riesige Fritteuse trägt übrigens Baujahr 1962 und ist damit nicht einmal die älteste Maschine in der Halle (siehe Kasten).

Zum Schluss noch durch den Metalldetektor

Nun sind die Chüechli schon fast fertig, fehlt nur noch der Puderzucker. Den erhalten sie – Stück für Stück – an der Puderzuckerstation aufgestäubt, wo sie auch gleich in ihre Kartons fallen. In flottem Tempo geht es dann auf dem Laufband zur visuellen Endkontrolle am Ende der Halle, wo eine Mitarbeiterin mit weissen Handschuhen das oberste Chüechli im Karton bei Bedarf noch etwas nachzuckert.

An der Wand hängt ein grosses Plakat, wo genau aufgezeichnet ist, wie das perfekte grosse Chüechli daherzukommen hat: 36,5 g schwer; 195 mm breit und lang; 18 mm hoch; von zart/knuspriger Struktur und mit einem Geschmack nach «typisch Chüechli»; grosse Blasen sind nicht erwünscht. Fotos zeigen, wie das Streubild des Puderzuckers auszusehen hat, ist es «zu fest verschoben», muss das Produkt «gesperrt» werden. Zerbrochenes, zu Dunkles oder unschön Geformtes kommt als Ausschuss in grosse Plastikkübel und wird, fein vermahlen, dem Produktionszyklus wieder eingespeist. Genauso wird übrigens mit den Teigresten verfahren – verloren geht nichts.

Abschliessend werden die Kartons durch die automatische Verpackungsmaschine geschleust, womit nach rund acht Minuten in der Halle die Geburt einer Schachtel Fasnachtschüechli vollendet ist. Die zweitletzte Kontrolle zeigt, ob das Gewicht der Packungen stimmt. Dann verschwinden sie über eine korkenzieherförmige Rutschbahn ins darunterliegende Lager mit der Auslieferung, wo noch der Metalldetektor zum Einsatz kommt, für den Fall, dass doch ein Ohrring im Teig gelandet sein sollte.

Im Sommer stehen die Anlagen still

Fasnachtschüechli werden ab Mitte Dezember bis rund 40 Tage vor Ostern produziert. Die letzten Tage der Produktion fallen somit zusammen mit der Basler Fasnacht, die diese Woche über die Bühne ging: Was jetzt in den Supermärkten verkauft wird, sind die letzten Chüechli der aktuellen Saison. Haltbar sind sie aber 40 Tage, können also problemlos auch noch an Ostern gegessen werden.

Anschliessend sind fünf Personen zwei Monate damit beschäftigt, die ganze Anlage auseinanderzunehmen, zu reinigen und wieder betriebsbereit zu machen. Bereits ein halbes Jahr später darf man dann wieder Chüechli knuspern, denn seit 2011 werden die Anlagen im Herbst während ein paar Wochen für die sogenannten Herbstchüechli eingesetzt, die etwa fünflibergross sind und genau gleich fein schmecken wie ihre grossen Geschwister.

Von Hand übers Knie

Seit 1935 werden in Meilen Fasnachtschüechli hergestellt, zuerst in einem Lagergebäude der Gerbi in der Nähe der Fähre. Frauen zogen den Teig in Handarbeit übers Knie, damit er hauchdünn wurde, dann backte man ihn in 20 Pfannen über Gasflammen. Schon 1939 waren die Chüechli ein Verkaufsschlager, doch musste die Produktion während der Kriegsjahre aufgrund der Ölrationierung unterbrochen werden. 1945 nahm man die Herstellung wieder auf, nun mit einer alten Nudelmaschine, die den Teig ganz dünn auswallte. Diesen Job übernahmen ab 1956 drei Maschinen, die die Chüechli auch gleich backten.

1970 wurde die Produktion ins Werk 3 verlegt, wo sie auch heute noch ihren festen Platz hat, seit 1971/72 mit einer weiteren, vierten Maschine. 1982 folgte eine automatische Verpackungsmaschine.

Das Rezept ist seit 1935 fast gleich geblieben, abgesehen von einer Umstellung von Erdnuss- auf Sonnenblumenöl vor 20 Jahren und der Verwendung von Freiland-Eiern seit 2023. Das Verfahren hingegen hat sich über die Jahre im Rahmen der Modernisierung der Produktionsanlagen und der Fortschritte der Backtechnologie weiterentwickelt und ist im Detail ein Betriebsgeheimnis.

Der Produktionsbetrieb Delica (ehemals Midor) bergseits des Bahnhofs Meilen gehört zur Migros Industrie und ist der älteste M-Industrie-Betrieb überhaupt, gegründet 1928.

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