Amtliches, obligatorisches Publikationsorgan der Gemeinde Meilen
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Amtliches, obligatorisches Publikationsorgan der Gemeinde Meilen
Mit gut 40 Gästen hatten die Organisatoren gerechnet, für 80 wurden Stühle aufgestellt – und fast 100 kamen: Der Gewölbekeller des Ortsmuseums war am Mittwoch letzter Woche gut gefüllt mit erwartungsvollem Publikum.
Die Meilemerinnen und Meilemer freuten sich auf ein neues Buch, das von Land und Leuten in ihrem Dorf aus den Jahren 1927 bis 1932 erzählt. Und zwar aus erster Hand und persönlicher Sicht, denn Autor Hans Haab war ein Ur-Meilemer. Der 1920 geborene Jurist diktierte im hohen Alter seinen Sekretärinnen Anita Guggisberg und Helen Schuler seine Kindheitserinnerungen. Sehr gerne hätte er die Erzählungen noch gedruckt gesehen, sein Wunsch war «etwas von Meilen weiterzugeben».
Ein Bauerndorf mit 4000 Einwohnern
Doch starb Hans Haab im Juni 2023 in Meilen im hohen Alter von 103 Jahren, bevor das fertige Buch vorlag. Nun freute sich an seiner Stelle im Ortsmuseum seine Tochter Gioia Hilty-Haab über das grosse Interesse an den Geschichten und Gedichten aus einer Zeit, die sehr weit entfernt scheint von unserem Alltag und für uns heute, knapp hundert Jahre später, fast unvorstellbar ist.
Meilen war in den 1920er-Jahren ein bäuerlich geprägtes Dorf mit 4000 Einwohnern, 1000 Rindviechern und 100 Hektaren Reben. Viele Meilemer waren Bauern oder Winzer oder beides, so auch Hans Haabs Vater, der das Landgut «Haus zum Horn» 1927 kaufte. Über hundert Jahre vorher war Hans’ Ur-Urgrossvater dort Pächter gewesen.
Ein moderiger Geruch
Die Familie packte also ihre Möbel auf einen Heuwagen und zog vom «Winkel» an der Dorfstrasse 37 etwas weiter in Richtung Zürich direkt an die Seestrasse. Das einst edle Landgut «zum Horn», erbaut 1588, war damals allerdings in einem so verlotterten Zustand, dass den neuen Eigentümern aus dem Haus ein modriger Geruch entgegenströmte und die Fassade förmlich abblätterte. Nach und nach liess die Familie Haus und Scheune renovieren, samt Prunkzimmern und Festsaal in den oberen Geschossen. Gewohnt wurde im Erdgeschoss in der Pächterwohnung.
Auch der Art und Weise, wie man die Handwerker bezahlte, ist eine Geschichte gewidmet: Das Geld wurde am Stubentisch bar direkt in die Hand gezählt. Danach reichte man sich die Hand und trank ein Glas Wein.
Heute steht das Haus im Eigentum von Gioia Hilty-Haab, ist frisch saniert und gilt als Schutzobjekt von regionaler Bedeutung.
Eigentum von reichen Zürchern
Zu Beginn des Abends im Ortsmuseum stellte Hans Isler, Präsident der Vereinigung Heimatbuch, das Landgut an der Seestrasse 409 und seine Eigentümer über die Jahrhunderte vor. Unter anderem gehörte es den Zürcher Kaufleuten Kitt, der «top level» Zürcher Familie Meiss und der bekannten Familie Usteri mit Johann Martin Usteri, der den Text des Volkslieds «Freut Euch des Lebens» geschrieben hat. Unter den Eigentümern waren sowohl «Bäuerliche» als auch «Adelige». Erbauen lassen hatte es ein Bauer namens Stutz in den Jahren ab 1588 – der Festsaal kam erst 1720 dazu, gleichzeitig mit einer Aufstockung.
Lustig, nachdenklich, dramatisch
Das Buch wurde anschliessend vorgestellt von Germanist Heinz Gallmann, einem langjährigen Freund von Hans Haab, der die Lesung einzelner Kapitel durch Sandra Weber mit Erläuterungen und Hintergrundinformationen verband. Den Einstieg machte ein Gedicht, denn Hans Haab verfasste auch Lyrik, ein Band mit Haikus wurde bereits vor einigen Jahren veröffentlicht. Das lautmalerische und bildgewaltige «Sturmgewitter über dem Zürichsee», eine «Naturballade», komme ihm wie eine Flaschenpost vor, die in den Strom der Zeit geworfen wurde, um nun die Zuhörer im Ortsmuseum zu erreichen, sagte Heinz Gallmann. Man sah die Gewitterszene, die der Autor am seeseitigen Fenster der Winde beobachtet hatte, förmlich vor sich.
Aber auch die dramatische, nachdenkliche, lustige und immer interessante Prosa aus dem Alltag des kleinen Hans erreichte das Publikum. Die Erzählungen drehen sich um Schutzengel für sorglose Kinder, waghalsige Handwerker, das Fischen im Zürichsee, die «Wümmet» (das Haus war von Reben umgeben) oder eine kleine Ziege, die eigens für den Osterschmaus angeschafft wurde. Die ganze Familie hatte Freude an dem herzigen Tier, und als Höhepunkt liessen es Hans und Seli, seine Schwester, auf der grossen steinernen Treppe östlich der Scheune in den Reben frei, worauf es auf den Stufen riesige Sprünge machte, die begeistert bejubelt wurden. Man war aber auch pragmatisch: «Als dann später das Zicklein am Festtag auf dem Tisch serviert wurde, waren wir alle auf eine seltsame Art traurig, bis jemand sagte: ‘Auch Christus hat vom Osterlamm gegessen.’», endet die Erzählung.
Hundertjährige Flaschenpost
Besonders hübsch ist auch das Kapitel «Die Neuzeit hält Einzug», das sich um den ersten Telefonapparat im Haus dreht, um das heiss geliebte Radio und um Vaters Ford, der mit einer Kurbel angeworfen werden musste und ausgerechnet bei der Fahrprüfung auf dem Paradeplatz vorübergehend den Geist aufgab. Die Haabs waren damals eine von ganz wenigen Meilemer Familien mit Auto, andere waren die beiden Ärzte Frey und Aeberly oder der Bildhauer Bolleter.
Das Buch, das im Rahmen der Ausstellung «Schatzkammer Meilen» vorgestellt wurde, ist als «hundertjährige Flaschenpost» ein echter kleiner Schatz und lädt mit seinem hübschen Cover – es zeigt den Blick aus dem Stubenfenster im 1. Stock auf das Dorf Meilen – zum Stöbern ein. Man konnte es direkt am Anlass kaufen; der gesamte Erlös des Abends ging an das Ortsmuseum. Dessen Präsidentin Daniela Fluder lud schliesslich alle Anwesenden zum Apéro im ersten Stock des Museums.
Geschichten aus meiner Jugendzeit in Meilen: Das Haus «zum Horn» und die Jugenderinnerungen von Dr. Hans Haab, Fr. 19.80. Zu kaufen in der Papeterie Köhler oder via www.heimatbuch-meilen.ch (Link «Das Heimatbuch», «Bücher beziehen»).
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