- Kolumne
- Beni Bruchstück
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Neulich sass ich in der Bar und trank ein Bier. «Das waren vielleicht kalte Ostern!», klagte ich, als ich mit Roger anstiess.
«Wir hatten dieses Jahr schon wärmere Tage. Und an Ostern sollte es doch dann gleich noch ein bisschen schöner und wärmer sein. Was macht man sonst den ganzen Tag? Die Bise hat einem die ganze Freude an Ostern verdorben. Man hatte gar keine Lust, raus zu gehen. Findest du nicht auch?» Roger hatte sein Glas schon zur Hälfte ausgetrunken, weil mein Redeschwall ihn gar nicht zu Wort kommen liess. Als ich endlich fertig war, stellte er sein Glas hin und sagte: «Erstens: An Ostern blies keine Bise und zweitens: Ich hatte schöne Ostertage. Die schönsten seit langem.» – «Wie ist das möglich?», fragte ich. «Und überhaupt: es war die Bise. Die Kälte war richtig ätzend.» – «Es war kalt, einverstanden. Aber es war nicht die Bise. Die Bise kommt aus Nordosten, der Wind an Ostern kam aus Westen.» – «Jetzt wirst Du aber spitzfindig. Darauf kommt’s doch nicht an!» – «Sag das mal einem Meteorologen», entgegnete Roger lässig. «Geschenkt», meinte ich. «Aber was hat denn deine Ostern so schön gemacht?» Roger nahm noch einen Schluck und erzählte dann: «Ich habe Netflix geschaut! Vier Tage lang.» Erstaunt fragte ich: «Du bist die ganzen Ostern über zu Hause geblieben?» Roger nickte zufrieden. «Zum ersten Mal hatte ich keinen Pikettdienst. Und weil das Wetter nicht gerade einladend war, fühlte ich mich auch nicht verpflichtet, nach draussen zu gehen. Ich habe eine Serie nach der anderen geschaut.» – «Und du bist nie an die frische Lust? Kein Osterspaziergang?» Roger schüttelte den Kopf. «Es war herrlich!», seufzte er zufrieden. «Und überhaupt», fuhr er fort, «wenn du keine schönen Ostern hattest, bist du ganz selber schuld.» – «Wieso ich?» – «Du hattest bestimmte Erwartungen, die enttäuscht wurden. Dass die Tage dann aber nicht schön wurden, liegt ja nur daran, dass du dich darüber geärgert hast. Hättest du wie ich deine Erwartungen angepasst, wären es auch für dich wunderbare Tage geworden.» Das hatte etwas. Ich lud Roger ein und verabschiedete mich. «Bis in einer Woche», sagte ich zu Jimmy, und er antwortete: «Bis nächste Woche.» Ich trat nach draussen, schloss meine Jacke und dachte: Roger hat recht. Hätte ich mich mit der anderen Realität abgefunden, hätten es schöne Ostertage werden können.
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