Amtliches, obligatorisches Publikationsorgan der Gemeinde Meilen
AZ Meilen · Bahnhofstrasse 28 · 8706 Meilen · Telefon 044 923 88 33 · info(at)meileneranzeiger.ch

Amtliches, obligatorisches Publikationsorgan der Gemeinde Meilen

Inge Leuenberger zum 90. Geburtstag

Vielen Meilemerinnen und Meilemern ist Inge Leuenberger bekannt von ihrem Näh-Atelier an der Kirchgasse, wo sie zwei Jahrzehnte lang Änderungen und Reparaturen zur grossen Zufriedenheit ihrer Kundschaft ausführte.

Inge Leuenberger_optisch-gerade_web
[image-legend]

Am 2. März 1934 ist Inge Mast im norddeutschen Hannover zur Welt gekommen. Mit ihren Eltern und den zwei jüngeren Brüdern wohnte sie in Barsinghausen, ein paar Kilometer westlich von Hannover. Im Erdgeschoss ihres Wohnhauses befand sich die kleine, von ihrem Vater geführte Spar- und Darlehenskasse. Zur Schule ging Inge gern, ihr Lieblingsfach war Mathematik.

Leider musste die Familie in den Kriegsjahren viel Zeit im Keller verbringen wegen Fliegeralarmen. Auch von auswärts kommende Schüler waren jeweils dabei. Die Mittelschule, die unserer Sekundarschule entspricht, hat Inge Mast nicht bis zum Schluss besucht. Ihre Lehrer mussten in den Krieg, und die für die grossen Klassen – 50 bis 60 Jugendliche – zuständigen Ersatzlehrer seien schlecht gewesen, deshalb sei sie ausgetreten. Um die Zeit bis zum Anfang ihrer Berufslehre zu überbrücken, hütete sie das Kind ihres Hausarztes. Schon immer war Schneiderin ihr Wunschberuf, die Gesellenprüfung schloss sie als Jahrgangsbeste des Landes Niedersachsen ab.

Ihre erste Stelle hatte die junge Schneiderin in Hannover in einem Atelier, in dem die Hautevolee ihre Kleider fertigen liess. Als die Chefinnen die meisten der 60 Angestellten jeweils Ende Jahr entliessen, um sie dann neu anzustellen und so das Weihnachtsgeld zu sparen, suchte sie sich etwas anderes. Über das Arbeitsamt kam sie 1954 in die Schweiz, nach Hadlikon im Zürcher Oberland, zusammen mit ihrer Cousine, die ein Jahr vor ihr als beste Schneiderin abgeschlossen hatte.

Später absolvierte Inge noch ein weiteres Ausbildungsjahr in Deutschland, das sie mit der Meisterprüfung abschloss. Aber da es ihr in der Schweiz viel besser gefiel, kam sie wieder zurück. In Zürich hatte sie einen guten Posten in einem Konfektionsbetrieb: Sie verteilte die Arbeit, teilte die richtigen Schwierigkeitsgrade zu und kontrollierte die Ergebnisse.

Ihren Mann Hans-Rudolf Leuenberger hat die Jubilarin im Zug kennengelernt: An Silvester 1964 machte sie mit einer Freundin eine Silvesterfahrt ins Blaue. Im gleichen Zug, der an den Bodensee fuhr, waren auch vier junge Solothurner. Im grossen Tanzsaal suchten sie einander, erst gegen Morgen fuhr der Zug wieder zurück nach Zürich. Inge verabredete sich daraufhin immer wieder mit Hansruedi, der damals in Zürich bei einer Bank arbeitete. Schliesslich heiratete das junge Paar, und in den Jahren 1966 und 1968 kamen ihre Tochter Lucette und ihr Sohn Dominique zur Welt.

Durch einen Meilemer Freund kamen sie in eine Wohnung in einem neu errichteten Mehrfamilienhaus an der Pfannenstielstrasse. Hier hatten es die Familien – alle hatten Kinder – sehr gut miteinander und auch mit dem Vermieter, der für alle einen Spielplatz mit Grill baute.

Als die Kinder nicht mehr zuhause wohnten, bezog das Ehepaar Leuenberger eine kleinere Wohnung am Ormissteig, wo die Jubilarin noch heute wohnt. Während zehn Jahren gab sie Nähkurse in Zürich. Als sie 63 Jahre alt war, sah sie beim Spazieren, dass an der Kirchgasse Räume zu vermieten waren. Sie sagte zu. Als sie dann ihren Mann informierte, war dieser zuerst dagegen, aber sie konnte ihn überzeugen. So eröffnete sie in einem Alter, wo manche in Pension gehen, ein eigenes Nähatelier. Die Anschaffung von drei grossen Maschinen und einem schweren Tisch kostete viel. Doch offenbar hatte sie eine Marktlücke entdeckt, denn bald sprach sich herum, dass ihre Arbeit von guter Qualität war. Ihre Kundschaft war zufrieden und dankbar, und Inge Leuenberger führte das Atelier mit Freude, bis sie 83 Jahre alt war.

Noch immer stehen die drei Maschinen in ihrer Wohnung, ab und zu benutzt sie sie auch noch. Letztes Jahr zum Beispiel hat sie sich aus einem Stoff, der schon 40 Jahre «herumlag», einen schönen Hosenanzug genäht.

Die Jubilarin fühlt sich sehr wohl und gut aufgehoben im Haus am Ormissteig. Leider musste sie vor zehn Jahren von ihrem Hansruedi für immer Abschied nehmen. Sie hat wunderbare Nachbarn, die gut zu ihr schauen. Fast täglich fährt sie mit dem Zug nach Zürich, wo sie im Seefeld eine halbe Stunde dem See entlang spaziert. Auf den Ruhebänkli ergeben sich oft nette Gespräche. Gern fährt sie auch mit einem Tram bis zur Endstation, einfach, um zu schauen, was los ist.

Wir wünschen Inge Leuenberger zu ihrem 90. Geburtstag gute Gesundheit, viel Freude mit ihren beiden Enkelinnen und den drei Enkeln und schöne Begegnungen in Zürich wie auch in Meilen.

teilen
teilen
teilen

Weitere aktuelle Artikel in der Kategorie Kultur / Politik

Weiterlesen
Weiterlesen
Weiterlesen