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Fastenzeit 2.0 – Gedanken zur christlichen Identität

Vor Ostern liegt jeweils die Fastenzeit. Und Fasten ist nach wie vor ein wichtiges Thema, jedenfalls wenn man die Anzeigen und Tipps zum Thema zählt. Meist geht es dabei um das Abnehmen, oft wird aber auch ein besseres Lebensgefühl als Ziel erwähnt.

Graffiti all we need is more likes in Athens in Greece
«Alles, was wir brauchen, sind mehr ‹Likes›» – wirklich? Foto: Alarmy Stock Photo

In der Fastenzeit stand traditionell ein geistiger Prozess im Vordergrund, der Verzicht auf einen Teil der Nahrung sollte die Konzentration auf das Geistige fördern und eine innere Reinigung erleichtern. Eine Auswirkung auf die Figur war höchstens eine Nebenwirkung.

Medien-Fasten

Nun hat das Schweizer Radio und Fernsehen SRF einen Versuch mit einer neuen Version von Fasten gemacht: Ein teilweiser Verzicht auf Medienkonsum sollte befreien und neuen Raum schaffen für Sinnvolles.

Anstoss für diesen Versuch gab offenbar die Feststellung, dass die täglichen Handy-Nutzungszeiten weltweit steigen. Dabei spielen ähnliche Mechanismen eine Rolle wie bei anderen Süchten, z.B. die Ausschüttung von Dopamin. Sie hat einen direkten Zusammenhang mit den «Likes» in den sozialen Medien, haben Neurowissenschaftler nachgewiesen.

Das Gefühl, von anderen anerkannt zu sein, gibt immer wieder neu den erhofften Kick. Im Konkurrenzieren um diese «Likes» präsentieren sich die Menschen immer offensiver, versuchen, sich selbst Identität zu verschaffen.

Wir sind Mensch

Doch was ist Identität, wer bin ich? Es ist nicht einfach, diese Frage zu beantworten, wenn ich mich nicht mit ein paar tollen Fotos oder modischen Kleidern zufriedengebe.

«Ich bin Schweizer», sagen manche. Doch was heisst das? Ist es das kleine rote Büchlein, das uns zu Schweizerinnen oder Schweizern macht? Gibt mir dies Identität? «Natürlich hat es nichts mit Nationalität zu tun», sagen andere, «unsere Identität besteht darin, dass wir Mensch sind.»

Schön und gut, aber unser Erbgut ist zu 98 Prozent mit dem des Schimpansen identisch, und selbst mit dem Fadenwurm verbindet uns eine fünfzigprozentige Verwandtschaft. So besonders ist der Mensch nun auch wieder nicht, biologisch gesehen.

An dieser Stelle wird dann gerne das kleine Kreuz auf dem Schweizerpass ins Spiel gebracht: die Religion, die christliche Identität. Aber wie wir wissen, wird Religion nicht nur von islamischen, sondern auch von christlichen Politikern für ihre Ziele missbraucht. Es stellt sich also die Frage, wer sich zu Recht darauf beruft. Wer hat eine «christliche Identität?» Wer Ostern und Weihnachten feiert? Wer einen Taufschein und eine Bibel im Gestell hat?

Es geht um das Gestalten von Beziehungen

Wenn wir Identität als Ansammlung von besonderen Attributen verstehen, führt uns das in die Irre. «A = B» schreibt man zum Beispiel, doch Identität meint in der Mathematik nicht die Eigenschaft von A oder B, sondern die Beziehung zwischen den beiden. Identität hat mit Beziehung zu tun, sie hat immer zwei Bezugspunkte. Ich kann sie deshalb auch nicht ansammeln wie Geld auf einem Konto. Sie verändert sich, je nachdem, wer mir gegenübersteht.

Christliche Identität hat damit zu tun, wie wir unsere Beziehungen gestalten – zu den Menschen, aber auch zu Schimpansen, Fadenwürmern und anderen Geschöpfen.

Vergebung ist der schwierigste Teil

Christliche Identität bedeutet, sich so in Beziehung zu setzen wie Christus. In Beziehung mit den Schwachen in unserer Gesellschaft und auf unserer Erde: Ihnen Zuwendung zukommen lassen und sie schützen. In Beziehung mit den Mächtigen unserer Gesellschaft: Von ihnen Gerechtigkeit fordern. In Beziehung mit Bedrückten und Depressiven: Ihnen Hoffnung zusprechen und neues Selbstvertrauen geben.

Und was bedeuten Karfreitag und Ostern für diese christliche Identität? Jesus sagt am Kreuz über die, die ihn gekreuzigt haben: «Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun.» Er verzichtet selbst gegenüber denen, die ihm Böses tun, darauf, sie zu verteufeln und ihnen den Tod zu wünschen, weil er glaubt, dass die Liebe stärker ist als der Tod.

Das sollten alle Menschen bedenken, wenn sie sich bedenkenlos auf ihre christliche Identität berufen, erst recht, wenn sie Politiker sind und damit Massnahmen gegen irgend jemanden rechtfertigen wollen.

Zugegebenermassen, Menschen zu vergeben, die einem böse wollen, das ist wohl der schwierigste Teil im Bemühen um ein christliches Leben. Aber ein Teil, der unaufgebbar zur christlichen Identität gehört. Wenn Sie in der Fastenzeit darüber nachdenken, wer Sie sind und wer Sie sein wollen, lohnt es sich bestimmt, auch darüber nachzudenken.

Ich wünsche Ihnen einen besinnlichen Karfreitag und frohe Ostern.

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