Amtliches, obligatorisches Publikationsorgan der Gemeinde Meilen
AZ Meilen · Bahnhofstrasse 28 · 8706 Meilen · Telefon 044 923 88 33 · info(at)meileneranzeiger.ch

Amtliches, obligatorisches Publikationsorgan der Gemeinde Meilen

Die Befreiung von Zwängen und Ängsten

Wir leben in einer geschäftigen Welt. Viele von uns mit einem Terminkalender, der gut gefüllt ist. Je voller ein Kalender, desto voller das Selbstwertgefühl. Die dicht gedrängte Zeit verspricht uns Regelmässigkeit. Das Regelmässige wiederum vermittelt Sicherheit.

Bunte, handbemalte Ostereier unter Narzissenblüte / Osterglocke  (Narcissus spec.), Lüneburg, Lüneburger Heide, Niedersachsen, Deutschland, Europa
Für viele von uns ist Ostern eine Herausforderung – aber auch eine Chance. Foto: Adobe Stock

Ostern jedoch ist anders. Nicht nur, weil Ostern das wichtigste Fest der Christenheit ist, sondern auch, weil es ein beinahe unberechenbares Fest ist, und zwar wortwörtlich. Das Osterfest sträubt sich trotzig gegen die Regelmässigkeit. Es richtet sich jedes Jahr zu einem anderen Zeitpunkt im Frühjahr ein, weil das Osterfest dem lunaren Kalender gehorcht und es immer auf den Sonntag nach dem ersten Frühjahresvollmond fällt.

Der Ostertermin ist eine schöne Variable in unserem kirchlichen Terminkalender. Auch durch die Anhäufung von gegensätzlichen Emotionen innerhalb dreier Tage sorgt der Osterfestkreis bei uns für gewisse Umstände. Auf die bodenlose Traurigkeit des Todes Jesu an Karfreitag folgt die himmelhochjauchzende Gewissheit der Auferstehung Jesu an Ostern. Jesus ist wahrhaftig auferstanden, jubelt die Christenheit überall auf der Welt.

Der Versuch, die Wirklichkeit zu überwinden

Wir in Meilen können vielleicht mitjubeln, aber trotzdem verlangen wir eine Erklärung. Nach dem Sterben wartet das Leben? Das ist nicht die lineare Abfolge eines Lebensrhythmus, die wir in einen Erfahrungshorizont einbetten könnten. Unsere Vernunft, unsere Erkenntnis und unser Wissen werden durch diese Aussage provoziert. Die Nicht-Erklärbarkeit durch überprüfbares Wissen oder durch gewonnene Erfahrung führt deswegen zu unterschiedlichen Versuchen, die Auferstehung Jesu entweder in nebulöse Worte einzuhüllen oder gänzlich zu negieren, während andere einfach jubeln.

Es gibt zwar die schriftlichen Zeugnisse der Auferstehung Jesu in der Bibel. Diese wurden aber Gegenstand einer Vorstellung, die unser Gefühl für die Wirklichkeit der postmodernen Welt irritiert, diese Wirklichkeit aber gleichzeitig auch zu überwinden versucht. Eine neue, andere Dimension von Erkenntnis – von vielen «Glauben» genannt – könnte uns das Befremden, das uns das Osterfest bereiten kann, zugänglich machen, auch heutzutage noch.

Entschleunigung und Atemholen

Der Glaube kann einen wichtigen Platz innerhalb der menschlichen Erfahrung einnehmen, denn sonst könnten wir das, was bei der Auferstehung geschehen ist, nicht um- und beschreiben. In unserer aufgeklärten und von der Entkirchlichung ergriffenen Welt ist Ostern eine Herausforderung für viele von uns, aber auch eine Chance. Vorausgesetzt, wir suchen während den paar arbeitsfreien Ostertagen nicht Zerstreuung im Autobahnstau nach Locarno oder in einer leicht nervösen Menschentraube vor dem sich schliessenden Flugzeuggate. Es ist insbesondere eine Chance für die Entschleunigung, das Zurücklehnen und das Atemholen jenseits des vollen oder auch des leeren Terminkalenders.

Der Glaube an die Auferstehung Jesu befreit uns von Zwängen und Ängsten, die ohne Auferstehung nicht verortet werden könnten. Nicht der schnöde Tod, der am Ende des Lebens auf uns wartet, lacht zuletzt, sondern das Leben, das ewige dazu.

Deswegen feiern wir dieses regelmässig unregelmässige Fest voller Freude, und auch, weil der Glaube den vollen Terminkalender manchmal einfach nicht braucht.

teilen
teilen
teilen
XING
WhatsApp

Weitere aktuelle Artikel in der Kategorie Kultur / Politik

Weiterlesen
Weiterlesen
Weiterlesen