Amtliches, obligatorisches Publikationsorgan der Gemeinde Meilen
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Das ehemalige Bezirksgefängnis Meilen wird zum Schulungsgefängnis

Das ehemalige Meilemer Bezirksgefängnis dient neu der Ausbildung von U-Haft-Mitarbeitenden: Ein Modellversuch der Kantone Zürich und Bern soll zeigen, wie sich die Untersuchungshaft in der Schweiz reformieren lässt.

Direkt in der Zelle wurde ein Szenario durchgespielt: Der Mitarbeiter verhindert mit taktisch ausgerichteter Kommunikation, dass das Gespräch mit dem Gefangenen eskaliert.

Wie dieser Modellversuch in den kommenden drei Jahren konkret abläuft, erklärten die Zürcher Justizdirektorin Jacqueline Fehr und der Berner Sicherheitsdirektor Philippe Müller am Dienstag geladenen Gästen und Medienvertretern direkt vor Ort im Bezirksgefängnis an der Unteren Bruech, das über 70 Jahre lang als Kurzstrafengefängnis diente, heute aber nicht mehr den notwendigen Standards entspricht und deshalb seit einiger Zeit nicht mehr als Gefängnis genutzt wird.

Eingerichtete Zellen, ein Besucherzimmer, ein Eintrittsbereich und weitere authentische Räumlichkeiten sind jedoch vorhanden und bilden somit die geeignete Umgebung, wenn es darum geht, praktische Erfahrungen in einer realitätsgetreuen Umgebung zu sammeln. Die Räume dienen ab August für drei Jahre als sogenanntes Schulungsgefängnis für ein praxisorientiertes Trainingsprogramm für Mitarbeitende.

Haftschäden erschweren die Wiedereingliederung

«Wiedereingliederung beginnt im Moment der Verhaftung», sagte Jacqueline Fehr, und das gelte auch für die Untersuchungshaft. Diese restriktivste aller Haftformen sei in der Vergangenheit in der Schweiz für die Betroffenen oft zu belastend und sogar schädlich gewesen, obwohl für Untersuchungshäftlinge die Unschuldsvermutung gilt.

Im Kanton Zürich kommen jährlich bei durchschnittlich 16’000 Verhaftungen etwa 1’200 Personen in Untersuchungs- und Sicherheitshaft, wobei die durchschnittliche Aufenthaltsdauer 84 Tage beträgt. Das sei zwar eine relativ kurze Zeit, in der aber viel Schaden angerichtet werden könne, so Jacqueline Fehr. Haftschäden könnten die Wiedereingliederung der Betroffenen erschweren, mit Kostenfolgen für die ganze Gesellschaft: «Innerhalb von drei Monaten können drei Viertel der Inhaftierten das Gefängnis wieder verlassen, haben in dieser Zeit aber möglicherweise Job und Wohnung verloren.»

Neue Wege in der U-Haft

Obwohl bereits in den letzten Jahren Verbesserungen umgesetzt wurden, werden die Reformbemühungen weitergeführt, und die Kantone Zürich und Bern gehen in ihren total elf Untersuchungsgefängnissen neue Wege. Ihr Modellversuch soll insbesondere die Ressourcen der verhafteten Personen ins Zentrum stellen und sie dabei unterstützen, dass Arbeitsstelle, Wohnung und Familienstrukturen erhalten bleiben.

Damit das gelingt, wird auf sechs Aspekte fokussiert. So findet beim Eintritt in die U-Haft innert drei Tagen neu ein sogenanntes Lebensbereichsgespräch statt, bei welchem Fachleute mit dem Gefangenen ein Gespräch führen, um die Familien-, Job- und Wohnsituation zu erfassen. Wenn nötig, sollen die Profis sich um Sofortmassnahmen kümmern. Oder wie Projektleiter Stefan Tobler sagte: «Wir wollen verhindern, dass jemand nach der Haft auf der Strasse landet.»

Als zweites will das in neun Sprachen angebotene Programm «Prisma» (Prison Stress Management) die Inhaftierten dazu befähigen, mit Stress und Problemen besser umzugehen. Dafür wurden bereits 23 Trainerinnen und Trainer zertifiziert. Des weiteren sollen die Kontakte zwischen den Inhaftierten und ihren Angehörigen und Bezugspersonen gefördert werden. Als viertes begleiten Fachleute den Übergang in die Freiheit – oder in den Strafvollzug – professionell, und fünftens besprechen interdisziplinäre Teams im Sinne eines Case Management alle drei Wochen individuell jede inhaftierte Person. Die Teilnahme ist für die Inhaftierten freiwillig.

Im Idealfall für die ganze Schweiz

Schliesslich findet im Schulungsgefängnis Meilen zwischen 2024 und 2026 für alle rund 400 Berner und Zürcher Mitarbeitenden mit Kontakt zu Untersuchungshäftlingen eine fünftägige Praxisausbildung mit Übungen, Rollenspielen und Diskussionen statt. Wie diese Weiterbildung aussieht, demonstrierten am letzten Dienstag U-Haft-Mitarbeitende direkt vor Ort in den Zellen des Schulungsgefängnisses: Deeskaliernde Gespräche, Kommunikation im Gefängnisalltag und Stressbewältigung sind Stichworte dazu.

Der Modellversuch, der vom Bundesamt für Justiz unterstützt wird und 12 Mio. Franken kosten soll, läuft bis Ende 2026. In dieser Zeit sammeln die ETH und Universität Zürich Daten und evaluieren den Erfolg des Projekts. Im Idealfall würden die erprobten Massnahmen dereinst in der ganzen Schweiz umgesetzt, sagte Projektleiter Stefan Tobler.

Auf die eigentliche Strafverfolgung habe der Modellversuch im Übrigen keinen Einfluss, sagte Philippe Müller: «Die Untersuchungshaft bleibt eine Haft.»

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