Amtliches, obligatorisches Publikationsorgan der Gemeinde Meilen
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Amtliches, obligatorisches Publikationsorgan der Gemeinde Meilen

Autoritäre Säle und beruhigende Wartezonen

Unbemerkt von vielen Meilemerinnen und Meilemern ist am 29. Februar das neue Bezirksgericht an der Unteren Bruech eingeweiht worden. Das vom Kanton finanzierte Gebäude wurde für einen zeitgemässen Gerichtsbetrieb massgeschneidert.

Rund 250 Verhandlungen haben im Bezirksgericht in den vier Monaten seit Eröffnung bereits stattgefunden, darunter knapp 50 Scheidungen. Foto: Beat Bühler

Der dreistöckige Bau, der vom kantonalen Hochbauamt realisiert wurde, steht auf dem Gelände eines ehemaligen Parkplatzes unmittelbar gegenüber dem alten Gerichtsgebäude, das noch aus dem Jahr 1954 stammt. Dessen Säle werden nun zu Büros umgebaut, und sämtliche Gerichtsverhandlungen des Bezirksgerichts Meilen finden nach knapp dreijähriger Bauzeit seit Ende Februar ausschliesslich im Neubau statt.

Die Würde des Gerichts

Das kubusförmige Gebäude mit ineinander verschränkten Teilvolumen macht neugierig – von aussen wirkt es schlicht, mit markanten grossen Fensterflächen. Untergebracht sind hier sechs bis sieben (ein Raum ist multifunktional) Gerichtssäle, ausserdem Besprechungszimmer und überall auch die entsprechenden Wartezonen. Dazu kommt ein gesicherter interner Bereich für die 13 Richterinnen und Richter, 17 Gerichtsschreiberinnen und Gerichtsschreiber sowie 14 Auditorinnen und Auditoren.

Zeit für eine Stippvisite in den Räumen, die sonst nur im Zusammenhang mit einer Verhandlung oder einer Sprechstunde besucht werden können. Beste Begleitung dafür ist sicher Barbara Stingel, Vizepräsidentin des Bezirksgerichts, die das Neubauprojekt als Vertreterin der Nutzerschaft massgeblich mitprägte und jetzt sehr zufrieden ist mit dem vollendeten Werk. Natürlich gebe es Kinderkrankheiten – so müsse das eine oder andere noch feinjustiert oder nachgebessert werden.

Seit 2008 ist Barbara Stingel gewählte Bezirksrichterin in Meilen und kennt somit den Unterschied zum bestehenden Haus aus eigener Erfahrung. «Was ich besonders schön finde: Die Würde des Gerichts wird im Gebäude fühlbar, trotzdem hat es eine freundliche und beruhigende Ausstrahlung.»

Damit die Nervosität nicht überspringt

Nach dem Passieren des eichendunklen Empfangs und der Sicherheitsschleuse wird man von hellen Terrazzoböden und Wänden aus hellgrauem, sandgestrahltem Sichtbeton empfangen. In der Eingangshalle hängt eine moderne Plastik von Tanja Roščić (siehe unten). Es gibt Rückzugsnischen, die als Wartezonen dienen und durch die grossen Fenster jeweils einen Blick auf die Umgebung erlauben, in den oberen Stockwerken bis in die Berge und über den See.

«Bisher warteten die Parteien für verschiedene Verhandlungen oft gemeinsam am selben Ort. Da fühlte man die Nervosität förmlich überspringen», erinnert sich Barbara Stingel. Für eine gewisse positive Note sorgt auch viel Licht, das aus unterschiedlichen Richtungen einfällt – durch die grossen Fenster, das offene Treppenhaus und durch Oblichter.

Bereit für grosse Strafverfahren

Barbara Stingel führt in den Gerichtssaal 1, der sich im Erdgeschoss befindet. Im 150 Quadratmeter grossen, repräsentativen, technisch bestens ausgerüsteten Raum mit dunklem Holztäfer an den Wänden und heller Decke könnte sogar ein mehrtägiger Mordprozess durchgeführt werden. Er bietet Platz für bis zu 80 Zuschauer. Der Saal wurde beispielsweise im Mai und Juni genutzt, als dem ehemaligen Kommandanten der Schweizergarde wegen Drohung der Prozess gemacht wurde.

«Grosse Strafverfahren müssen jetzt nicht mehr in andere Säle übertragen werden», sagt Barbara Stingel. Wie zwei weitere Gerichtssäle bietet der Saal Zugang zum gesicherten internen Bereich für die Richter, Gerichtsschreiber und Auditoren. Arrestzellen mit direktem Anschluss an die Tiefgarage befinden sich ebenfalls im rückwärtigen Teil. Am alten Ort waren gewisse Prozesse jeweils mit sehr viel organisatorischem Aufwand verbunden: Das Gebäude musste teilweise gesperrt werden, bevor die Kantonspolizei die Angeklagten mit dem Kastenwagen vor den Eingang fahren konnte.

Einfluss auf die Form der Tische

Bei den Sälen für Strafprozesse befindet sich die Richterbank auf einem Podest. Sie wirken autoritärer als die Säle in den oberen Stockwerken, in denen Streitigkeiten aus den Bereichen Vertragsrecht, Erbrecht, Familienrecht, Miet- und Arbeitsrecht behandelt werden. Hier unterhält man sich auf Augenhöhe, und die Rückwand ist in einem Bordeauxlila gestrichen, das Barbara Stingel gemeinsam mit den Architekten des Büros Raumfindung ausgewählt hat: «Ich wünschte mir Farbe», sagt sie lachend.

Auch die Form der Tische in diesen Sälen geht auf einen Input von ihr zurück. Sie sind nicht lang und rechteckig, sondern haben eine abgerundet dreieckige, schon fast organische Form. «So kann der Richter gut die Gesprächsführung übernehmen, und die Parteien sitzen weder aufgereiht noch sich gegenüber, was die Kommunikation erleichtert.»

Kommunikation steht überhaupt im Zentrum: Besprechungszimmer sind mit «Dialog» angeschrieben. Der 16,6 Mio. Franken teure Minergie-P-Bau verfügt ausserdem über eine grosszügige Terrasse, wo man frische Luft schnappen und beobachten kann, wie die Fähre die beiden Ufer des Zürichsees verbindet.

Nun steht nur noch die Vollendung des Umbaus des bisherigen Gerichtsgebäudes an. Dann können die Gerichtsmitarbeitenden aus den Containern im Innenhof ausziehen und die neuen Büros in Beschlag nehmen. Geplant ist die Fertigstellung für Frühling 2025.

 

Kunst im Bau

Für die Kunst-und-Bau-Intervention im Erweiterungsneubau des Bezirksgerichts hat Tanja Roščić zwei Wandzeichnungen geschaffen: «Vision 1» und «Vision 2» sind raumgreifende Werke. Auf die Linie reduzierte, sich überschneidende Gesichter blicken von den Wänden und um die Ecke. Die Metallkonstruktionen sind direkt in den Beton eingelassen, wirken aber wie Bleistiftzeichnungen.

In der Eingangshalle im Erdgeschoss befindet sich Roščićs Werk «Faces and Vase» (2020) aus Stahlrohren – auch hier sind zwei Gesichter zu erkennen, das eine küsst das andere auf die Stirn, umgeben von geometrischen Formen und einer Vase.

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