Amtliches, obligatorisches Publikationsorgan der Gemeinde Meilen
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Neulich in Meilen: Scherben wegwischen

Neulich sass ich in der Bar und trank ein Bier. Jimmy kam gerade mit einer kleinen Schaufel voller Glasscherben herein. «Das gehört auch zum Business», sagte Roger mit Blick auf die kaputte Bierflasche.

«Da hätte ich doch gleich mal eine Frage», brachte ich mich ein. «Was machst du, wenn ein Gast ausserhalb des Restaurants ein Glas fallen lässt?» – Jimmy schüttete die Scherben in den Abfallsack. «Ich hab’s gern ordentlich um meinen Laden herum. Darum interpretiere ich meinen Zuständigkeitsbereich grosszügig», antwortete er. Roger sah mich an. «Wieso fragst du?» – «Vor ein paar Tagen fiel mir eine zerbrochene Flasche weiter unten an der Strasse, wo ich wohne, auf. Ich hätte ihr keine weitere Beachtung geschenkt, wenn nicht zwei Tage später ein Kind in einen kleinen Splitter gestanden wäre. Das war keine grosse Sache. Der Vater hat es hochgehoben und kurz darauf war die Welt wieder in Ordnung.» – «Aber?», fragte Roger weiter. «Ich habe mir überlegt, wer denn so etwas wegräumen muss?» – «Das wäre doch eine Aufgabe für den Strassendienst, nicht wahr?», meint Roger. «Das war auch mein erster Gedanke», sagte ich. «Aber weisst du, wie oft die kommen und die Strassen reinigen? Den Abfall holen sie jede Woche, aber wie oft kommt die Putzkolonne?» – «Keine Ahnung», gab Roger zu. Und Jimmy fragte: «Und es selber einsammeln war keine Option?» – «Das habe ich mir tatsächlich auch überlegt. Ich hätte auch selber den Besen in die Hand nehmen können.» – «Und wieso hast Du nicht?» Roger blieb im Fragemodus. «Ich fühlte mich irgendwie nicht verantwortlich, kann aber nicht wirklich erklären, weshalb nicht. Es war wohl zu weit weg von meinem Hauseingang.» – «Darum werden die Steuern immer höher», warf Jimmy von hinter Theke ein. «Wir delegieren alles, an den Staat, der soll’s richten. Dafür müssen wir dann mehr bezahlen.» – «Ist doch interessant, was man am Beispiel einer zerbrochenen Flasche alles lernen kann», sagte ich und nahm einen grossen Schluck. Es gab dann noch ein zweites und ein drittes Bier. Schliesslich zahlte ich. «Bis in einer Woche», sagte ich zu Jimmy. «Bis nächste Woche», antwortete er. Ich trat nach draussen und nahm mir vor, es künftig ähnlich zu machen wie Jimmy und mich auch für das Umfeld jenseits meiner Grundstücksgrenzen verantwortlich zu fühlen.

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