Amtliches, obligatorisches Publikationsorgan der Gemeinde Meilen
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I’m not in Love

Neulich sass ich in der Bar und trank ein Bier. Schon beim Hereinkommen sah ich Roger intensiv mit Jimmy reden. Als ich mich dazusetzte, zapfte mir Jimmy unaufgefordert und wortlos eine Stange. Roger war mitten in seiner Erzählung.

«Nun, ich bin gerade in einer seltsamen Phase, und nur weil ich dich anrufe, heisst das noch lange nicht, dass wir ein Paar sind.» Damit hatte er meine volle Aufmerksamkeit. Auch Jimmy war ganz Ohr. Er fragte: «Und dann?» – «Naja, ich freue mich dich zu sehen, aber das bedeutet nicht, dass du mir viel bedeutest. Wenn ich dich anrufe, mach nicht gleich eine grosse Sache draus, sag deinen Freunden nichts von uns. Und übrigens: Ich habe noch ein Bild von dir, das verdeckt gerade einen blöden Fleck an meiner Wand. Darum fordere es bitte nicht zurück, du weisst ja, dass es mir nicht viel bedeutet.» Nun musste ich fragen: «Von wem sprichst du da? Hast du dich verliebt?» Roger sah mich irritiert an: «Ich doch nicht. Ich bin nicht verliebt.» – «Du sagst zwar, dass du nicht verliebt seist, aber jeder hört, dass du für diese Frau schwärmst. Es ist doch eine Frau?» – «Red’ keinen Quatsch», sagte Roger nun sehr deutlich. «Es geht da doch nicht um mich! Ich habe Jimmy gerade von ‹I’m not in Love› von 10cc erzählt. Der Song wird dieses Jahr fünfzig Jahre alt und hat nichts von seiner Ausstrahlung verloren.» Das war bestimmt eine sehr interessante Information, nahm für mich aber doch etwas Spannung aus der Sache. Meine falsche Annahme, dass Roger sich verliebt habe, hatte ich deutlich interessanter gefunden. «Du verstehst nicht», setzte Roger wieder ein, «darin besteht gerade der Reiz des Songs. Da singt einer während knapp vier Minuten, dass er die Frau ja gar nicht liebe, und gleichzeitig hört man aus jeder Silbe, wie sehr er sich nach ihr sehnt. Mal abgesehen davon, dass der Sound grossartig ist.» Eigentlich hätte ich noch gern gewusst, weshalb die Band 10cc heisst. Aber Roger schwärmte schon wieder in Richtung Jimmy von diesem Song. Ich trank mein Bier leer und zahlte. Nur kurz unterbrach ich das Gespräch meiner Kollegen und sagte zu Jimmy: «Bis nächste Woche.» Jimmy sah auf und antwortete: «Bis in einer Woche.» Ich trat nach draussen in die warme Regennacht, nahm mir vor, den Song zu Hause zu googeln und freute mich im Übrigen an der Freude, die Roger an diesem Song hatte.

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