Amtliches, obligatorisches Publikationsorgan der Gemeinde Meilen
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Neulich in Meilen: Freitage

Neulich sass ich in der Bar und trank ein Bier. Ich konnte nicht anstossen, denn Roger war schon wieder nicht da. «Ist eine Arbeitnehmerwoche», erklärte mir Jimmy.

«Sechseläuten und 1. Mai. Da kannst Du eine ganze Woche freinehmen und musst nur drei Ferientage opfern.» – «Wo ist er denn hin?», fragte ich. «Hat er nicht gesagt. Aber sieh dich um. Er ist nicht der Einzige, der auf diese Idee gekommen ist.» Ein Blick in den Raum liess sofort erkennen, dass auch viele andere ihrer Stammbeiz den Rücken und der Feriendestination das Gesicht zugewendet hatten. «Ach, es kommen wieder bessere Tage», tröstete ich Jimmy und nahm einen grossen Schluck. «Da mache ich mir keine Sorgen», meinte er. «Es ist ein sehr saisonales Geschäft. Den Hauptumsatz machen wir zum einen im Sommer, wenn wir auch draussen auftischen können. Und natürlich in der Weihnachtszeit.» – «Aber offen hast du das ganze Jahr», kommentierte ich. «Und ich muss das ganze Jahr über Qualität liefern. Sonst kommen die Leute auch an Weihnachten nicht mehr.» – «Also mir schmeckt das Bier jede Woche.» Zufrieden liess ich meinen Blick über die Flaschen hinter Jimmy wandern, während er ein paar Gläser trocknete und die Theke sauber wischte. Ich zeigte mit dem Kinn auf die bunten Flüssigkeiten und fragte: «Schmecken die?» – «Natürlich! Wenn man sie richtig zubereitet.» – «Was kannst du mir empfehlen?» – «Das ist heikel, wenn du es mit Bier mischst.» – «Ach, ich habe heute nichts mehr vor. Überrasche mich!» Jimmy dachte kurz nach und sagte dann, während er mit geübten Handgriffen ein halbes Dutzend Flaschen aus dem Gestell hinter sich nahm und von jeder etwas in einen Becher gab: «Wenn du es eher süss magst, wird dir der gefallen.» Dann goss er alles in ein hohes Glas. Ich betrachtete die gelb-rote Flüssigkeit, in der eine Kirsche schwamm. Den Rand des Glases schmückte ein Orangenschnitz. «Lecker!», sagte ich und nahm gleich noch einen Schluck. «Mach langsam. Das Zeug fährt ein», warnte mich Jimmy. Ich blieb noch für einen weiteren Drink. Danach hörte ich auf zu zählen. Irgendwann zahlte ich. «Bis nächste Woche», sagte ich. Und Jimmy antwortete lächelnd: «Bis in einer Woche.» Leicht angesäuselt verliess ich die Bar. Der Weg nach Hause war an diesem Abend irgendwie länger. Aber das machte nichts. Es war schön, mit Jimmy den Abend mal etwas anders verbracht zu haben.

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