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Neulich sass ich in der Bar und trank ein Bier. Als ich mit Roger anstiess, sagte ich: «’Frühling lässt sein blaues Band wieder flattern durch die Lüfte.’» Und noch vor seinem ersten Schluck fuhr Roger fort: «’Süsse wohlbekannte Düfte streifen ahnungsvoll das Land.’»
Damit hatte ich nun wahrlich nicht gerechnet, dass er so treffsicher, Mörikes Gedicht zitieren kann. Erstaunt sagte ich: «Du kennst das Gedicht?» – «Wieso erstaunt dich das? Ich bin auch mal zur Schule gegangen.» – «Schon. Aber dass du es noch auswendig kannst! Ich musste es zu Hause nachschlagen.» Roger schüttelte den Kopf. «Ist nichts Besonderes», sagte er. «Ich habe die seltsame Gabe mir alle möglichen unnützen Dinge merken zu können.» – «Aber das ist doch nicht unnütz», protestierte ich. «Im Gegenteil! Es ist doch wunderschön, dass du das ‘by heart’ hast, wie der Engländer sagt.» Roger stimmte mir zu. «Du hast natürlich recht. Nur, denke ich manchmal, es wäre viel hilfreicher, wenn ich mir ein paar Vokabeln mehr im Französischen oder Englischen hätte merken können. Die brauche ich fast täglich. Das Gedicht aber hilft mir im Berufsleben nicht wirklich.» – «Dafür hast du treffende Worte für das, was man in diesen schönen frühlingshaften Tagen erleben kann.» – «Wieso bist du überhaupt auf dieses Gedicht gekommen?», fragte Roger. «Ich war spazieren», antwortete ich, «und habe mich an der wärmenden Sonne gefreut. Ich habe die ersten Gänseblümchen und Schneeglöckchen gesehen. Und die Narzissen stossen ebenfalls schon durch die Erde. Da ist etwas im Hinterkopf angeklungen.» – «’Veilchen träumen schon, wollen balde kommen’», zitierte Roger weiter. «Genau! Dieser Eindruck kitzelte mein Hirn, und da habe ich Google nach Frühlingsgedichten befragt. Und siehe da: Mörike kam als erster Treffer.» Wir bestellten noch ein Bier und stiessen auf die anhebende Jahreszeit an. Die zunehmend hellen Tage hinterliessen auch bei uns eine gute Stimmung. Wir bestellten sogar ein drittes Bier. Doch danach musste ich mich verabschieden. Ich sagte zu Jimmy: «Bis nächste Woche.» Und er antwortete: «Bis in einer Woche.» Ich trat nach draussen atmete die kühle Frühlingsluft ein und dachte: Ja er ist’s. Frühling, dich habe ich vernommen.
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