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Erst waren sie in grosser Zahl da, dann plötzlich verschwunden, und jetzt sind sie zurück: Letzte Woche wurden im Feldmeilemer Schwabach 50 Dohlenkrebse ausgesetzt.
Krebsfachmann Rolf Schatz aus Langnau am Albis führte vor sechs Jahren im Auftrag des Naturnetz Pfannenstil zu nächtlicher Stunde eine öffentliche Exkursion durch: Rund 60 Personen besuchten damals mit Taschenlampen ausgerüstet gemeinsam mit Schatz den Schwabach, wo sie die seltenen Dohlenkrebse aufspürten, die sich im Wasser unter Steinen verstecken. Die Tiere sind stark gefährdet. Im Kanton Zürich sind nur gerade vier Orte bekannt, in denen diese Krebsart vorkommt – darunter eben Meilen.
Wegen Chemikalien oder Pestiziden gestorben
Drei Jahre später, im Sommer 2021, musste Michiel Hartman vom Naturschutzverein Meilen dem Krebsfachmann indes berichten, dass die Dohlenkrebspopulation im Schwabach vollständig ausgelöscht worden sei. Rolf Schatz war konsterniert, als er bei mehreren Kontrollgängen an diversen Stellen des Baches feststellen musste, dass tatsächlich kein einziger Dohlenkrebs mehr zu finden war. Doch weshalb?
Der Grund für ihr Verschwinden lässt sich nur vermuten: Es muss davon ausgegangen werden, dass die Krebse wegen Chemikalien oder Pestiziden im Bach gestorben sind. Diese Stoffe wurden wahrscheinlich einmalig zugeführt, und dies schon weit oben im Bachlauf, da das gesamte Gewässer betroffen war.
In einer Beurteilung der Situation schrieb Rolf Schatz aber, dass es Grund zur Hoffnung gebe: «Ein Wiederbesatz mit Dohlenkrebsen hätte grosse Chancen auf Erfolg und wäre auch sinnvoll.» Dies, weil der Bach heute eigentlich – wieder – in guter Verfassung ist. Beweis dafür sind die vorhandenen kleinen Bachflohkrebse, die nur in Wasser von guter Qualität leben. Auch die Bachsohle, wie sie sich präsentiert, ist für Krebse einladend.
Dohlenkrebse aus Horgen
Nachdem auch im Herbst letzten Jahres bei einer Kontrolle weiterhin kein Dohlenkrebs im Schwabach zu finden war, wurde eine offizielle Bewilligung für die Wiederansiedlung der seltenen Tiere beschafft. Dafür ist das Zürcher Amt für Landschaft und Natur und dort die Fischerei- und Jagdverwaltung zuständig. Im Mai 2024 lag das Dokument vor, inklusive Nebenbestimmungen – so muss etwa nach fünf Jahren ein Abschlussbericht zu Handen des Amtes erstellt werden.
Als Spendergewässer wurde der Schlegeltobelbach in Horgen ausgewählt, denn dort leben aktuell ausreichend Krebse für die Umsiedlung von jeweils 50 Tieren in diesem und in den nächsten zwei Jahren.
Die in Horgen eingesammelten Dohlenkrebse warteten am Dienstag letzter Woche geduldig in ihren mit Wasser gefüllten Plastikeimern auf die Züglete. Sie fühlen sich in klarem, kühlem Nass am wohlsten, auch wenn sie kurz ausserhalb auf dem Trockenen überleben könnten.
Bei ihrer Wiederansiedelung erhielten die Dohlenkrebse magistrale Begleitung: Der gesamte Gemeinderat, der Gemeindeschreiber, etliche Meilemer aus dem Bereich Naturschutz sowie Mitglieder der Landschaftskommission erwiesen ihnen die Reverenz.
In einer Parkgarage an der Schwabachstrasse – es schüttete draussen derart, dass die Krebse im Freien auch locker neben den Eimern hätten überleben können – brachte ihnen Krebsspezialist Schatz die geheime Welt der Schalentiere näher.
Bis vor 200 Jahren in der Schweiz sehr zahlreich
In der Schweiz sind Edelkrebs, Steinkrebs und Dohlenkrebs einheimisch und verstecken sich tagsüber in selbst gebauten Höhlen oder unter Steinen. Während Edelkrebse bis 18 Zentimeter lang werden können, bringen es die braunen, olivgrünen oder anthrazitfarbenen Dohlenkrebse auf 12 Zentimeter und leben am liebsten in grösseren Bächen. Alle Krebse fressen vor allem Wasserpflanzen, ab und zu auch Bachflohkrebse, Fliegenlarven, verletzte Fische und kleinere Artgenossen, nicht aber Aas oder Fischlaich. Die Nahrung wird mit den beiden langen Fühlern aufgespürt.
Krebse häuten sich in den ersten Lebensjahren mehrmals pro Jahr, als Erwachsene ab vier Jahren noch ein- bis zweimal jährlich. «Das sind heikle Tage», erklärte Rolf Schatz, «ohne schützenden Panzer werden sie gerne von Raubfischen gefressen.» Bis der neue Panzer wieder ausgehärtet ist, nennt man den schutzlosen Krebs «Butterkrebs».
Noch vor wenigen Jahrhunderten waren vor allem die Edelkrebse reichlich vorhandene, eiweissreiche Nahrung und eine Delikatesse auf dem Teller. Bis von amerikanischen Arten die Krebspest eingeschleppt wurde, die die einheimischen Krebse um 1860 herum fast ausrottete. Die Amerikanerarten (Kamer-, Signal- und Sumpfkrebs) sind bis heute in der Schweiz verbreitet und weiterhin Träger der Krebspest. Selber erkranken sie nicht, doch die Dohlenkrebse und die anderen einheimischen Arten sterben an der Krankheit.
Die Amerikanerkrebse loszuwerden ist unmöglich: «Bestenfalls kann ihre Anzahl durch gezielte Befischung auf tiefem Niveau gehalten werden», sagte Rolf Schatz. Ausserdem dürfen niemals Krebse aus einem Gewässer in ein anderes ausgesetzt werden – weder aus natürlichen Beständen noch aus einem Aquarium. Denn ein einziges infiziertes Tier genügt, um eine ganze Population auszurotten. Dass der Lebensraum der Krebse immer mehr verlorengeht, ist ein weiteres Problem.
Rechtzeitig fürs Abendessen im Bach
Nach dem theoretischen Teil ging es mit Gummistiefeln und Regenjacken an den Schwabach, wo die Krebse aus ihren Eimern gehoben und sorgfältig Tier für Tier ins Wasser gesetzt wurden. Oder ins aufgeweichte Erdreich am Ufer. Auch von dort erreichten sie ihre neue Goldküsten-Heimat sehr instinkt- und zielsicher und begaben sich wohl unverzüglich auf die nächtliche Jagd nach Nahrung. Auf die fröstelnden Begleiterinnen und Begleiter warteten indessen eine heisse Suppe und ein Sandwich.
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