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Amtliches, obligatorisches Publikationsorgan der Gemeinde Meilen
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Der virtuelle Dorfrundgang der Vereinigung Heimatbuch Meilen führte diesmal aufs Eis: In Zusammenarbeit mit dem Ortsmuseum liessen Heimatbuch-Präsident Hans Isler und Zeitzeugen im Löwen-Saal das Seegfrörni-Jahr 1963 wiederauferstehen.
Er habe schon Gemeindeversammlungen mit weit weniger Teilnehmern geleitet, meinte der ehemalige Gemeindepräsident Hans Isler schmunzelnd angesichts des Grossaufmarsches von gut 220 Besucherinnen und Besuchern, die am Donnerstag letzter Woche erwartungsvoll der Dinge harrten. Zwei Stunden Rückblick auf einen einzigartigen Winter mit anschliessendem «passendem» Apéro waren angekündigt.
Es war an diesem 1. Februar 2024 auf den Tag genau 61 Jahre her, seitdem der gesamte Zürichsee komplett zugefroren und von den Behörden zum Betreten freigegeben worden war. Es war ein Ereignis, das wohl die meisten der Anwesenden persönlich miterlebt hatten, als Kinder oder als Teenager, und das für sie zu den schönsten und aussergewöhnlichsten Jugenderinnerungen gehört.
Das Eintauchen in die Vergangenheit war abwechslungsreich und genussvoll – dank vielen Fotos aus den Archiven des Ortsmuseums, aus dem persönlichen Fundus von Meilemern und aus dem ETH-Archiv, dank diversen kurzen Filmen und dank Vorträgen von Zeitzeugen, die sich an ihre schier unglaublichen Erlebnisse erinnerten.
An der Wäscheleine aufs Eis
Ein kurzer Rückblick auf frühere Zürichsee-Gfrörni zeigte, dass diese jahrhundertelang regelmässig auftraten, im 18. Jahrhundert zum Beispiel gleich siebenmal. Was damals in sprechenden Gemälden von festgefrorenen Tieren und «Eisfesten» festgehalten wurde, schilderte Heinrich Boxler ausserdem in zwei historischen Geschichten aus dem 17. Jahrhundert.
Im 20. Jahrhundert war der See in den Jahren 1914, 1929 und 1963 gefroren. Der inzwischen verstorbene Meilemer Hans Haab schilderte unter dem Titel «Meine früheste Kindheit» Erlebnisse von 1929, als er als Neunjähriger mit dem Vater – gesichert an einer Wäscheleine – noch vor der offiziellen Freigabe zu Fuss von Meilen ans linke Ufer gelangen wollte, doch in der Mitte kehrten Vater und Sohn um, weil ihnen die Geräusche des Eises unter ihren Füssen nicht mehr geheuer waren. Diesen Text trug Susy Brupbacher vor, die auch im späteren Verlauf des Abends noch einige Male als Vorleserin in Erscheinung trat.
Wochenlang Temperaturen unter Null
Selbst die meteorologischen Zusammenhänge wurden erläutert, und das Warten und Hoffen auf eine «Gfrörni» im Jahr 1963 nachvollziehbar gemacht: Es war schon im November sehr kalt gewesen, und auch der Dezember, Januar und Februar warteten mit Temperaturen durchwegs unter Null auf. Mitte bis Ende Januar war es meist zwischen minus 15 und minus 20 Grad kalt – würde es reichen?
Ja: Das Eis wurde am 26. Januar ab Meilen bzw. Horgen seeaufwärts freigegeben und am 1. Februar um 12 Uhr, mit einer Dicke von rund 13 Zentimetern, für den ganzen See. Ein Foto zeigte Professor Röthlisberger von der ETH, der mit vollen 200-Liter-Fässern prüfte, ob das Eis die nötige Tragfähigkeit für bis zu 150’000 Personen aufweise.
Mit Halbschuhen unterwegs
Zeitzeuge Peter Zaugg erinnerte sich an die brutale Kälte im Militärdienst, wo sogar der Heizofen in der Holzbaracke eingefroren war. Erstaunlich, wie kälteresistent die Menschen damals waren: Auf vielen Fotos sah man Frauen in Nylonstrümpfen und dünnen Halbschuhen, Männer nur mit Wollpullover und Stoffhosen oder Kinder ohne Handschuhe vergnügt in die Kamera blicken.
Eines dieser Kinder – allerdings mit Handschuhen – war «Christöffeli», der damals dreijährige heutige Gemeindepräsident Christoph Hiller. Hans Isler liess ihn fiktive Begegnungen machen mit anderen Meilemern, die Fotos von sich und ihrer Familie auf dem Eis zur Verfügung gestellt hatten, und ChatGPT lieferte dank Künstlicher Intelligenz sogar noch eine herzige Geschichte über Christöffeli und die Seegfrörni.
Real hingegen die Erinnerungen von Rolf Wattinger, der mit den Schlittschuhen nach Stäfa an die Berufsschule flitzte oder von Lehrer Richard Spörri, der heute in Meilen wohnt und damals seine Schüler aus Rüti aufs Eis führte. Werner Wunderli erzählte vom gefrorenen See als Sportplatz: die Jugendlichen spielten Eishockey auf einem von Bauarbeitern präparierten Spielfeld vor der Badi Dorf, das bis 22 Uhr auf Kosten der Gemeinde mit Flutlicht beleuchtet wurde. Gekauft wurden die nötigen «Iseli», «Schlappen» oder Schlittschuhe natürlich beim «Ise-Buume» im Dorf, bis die begehrten Waren ausverkauft waren.
«Zwanzig Eskimos zur Hilfe angefordert»
Auch Peter Büttner kam zu Wort. Die wenigsten Meilemer dürften gewusst haben, dass er ein begabter Eisschnellläufer war, der ein Jahr nach der Seegfrörni sogar an den Olympischen Spielen in Innsbruck teilnehmen konnte. An der Seegfrörni war er Mitorganisator des Seegfrörni-Laufs, von dem es einen Film zu sehen gab. Leider krachte Büttner unterwegs ungebremst in eine Eisscholle und konnte mit verbogener Kufe nicht mehr bei den Besten des Wettbewerbs mithalten. Aber zum 17. Platz unter 44 Finishern reichte es trotzdem.
Sehr herzig dann ein Auszug «aus den Verhandlungen des Gemeinderats» von Februar 1963. Dass dieser seine Freude am Ausnahmezustand hatte, zeigte sich an kreativen Ideen: Man habe zehn Jeeps mit Schneepflug angeschafft, zwanzig Eskimos zur Hilfe angefordert, unternehme bald eine Studienreise nach Grönland und erweitere die Landhauszone in der Bauordnung mit einem Bereich für Iglus. Ausserdem taufe man den «Löwen» in «Eisbär» um und beginne damit, ein unterirdisches Strassennetz anzulegen, weil ja schliesslich bald der Linthgletscher wieder wachse.
Dennoch begannen sich die Leute gegen Ende Februar langsam auf den Frühling zu freuen, und als das Betreten der Eisfläche am 8. März verboten wurde und die sibirische Kälte ein Ende nahm, waren die meisten Meilemer damit einverstanden. Auch Margrit Zaugg-Vontobel: Sie hatte lange befürchtet, die Schifffahrt nach ihrer Trauung in der Kirche Meilen am 6. April könne wegen des Eises nicht stattfinden, wie sie erzählte. Zu diesem Zeitpunkt waren aber fast alle Eisplatten bereits im Wasser versunken, und die MS Wädenswil hatte am 22. März eine erfolgreiche «Jungfernfahrt» im freien Wasser hinter sich gebracht, sodass das frisch vermählte Ehepaar Zaugg die Rundfahrt mit seinen Gästen wie geplant geniessen konnte.
Nach diesem schönen Happy End und viel Applaus für die Vortragenden wandten sich die Besucherinnen und Besucher dem angekündigten «passenden Apéro» zu: Es gab Glühwein, Punsch und heisse Marroni und ganz bestimmt noch viele weitere private Seegfrörni-Geschichten.
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