Amtliches, obligatorisches Publikationsorgan der Gemeinde Meilen
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Amtliches, obligatorisches Publikationsorgan der Gemeinde Meilen

Meilemer Wirtshausgeschichte(n)

In regelmässigen Abständen laden die Verantwortlichen der Vereinigung Heimatbuch zu Dorfrundgängen ein. Der diesjährige virtuelle Rundgang fand am Mittwoch vor einer Woche zum Thema «Wirtshausgeschichte(n)» im Jürg-Wille-Saal des Löwen statt.

Das Restaurant Sonne, lange bevor der Stein im Fenster einschlug. Auch die Reben stehen nicht mehr, dafür gibt es dort heute ein Pärkli. Foto: zvg

Über 200 Anmeldungen sind für den virtuellen Rundgang eingegangen. Die langen Tische im Jürg-Wille-Saal waren bis auf den letzten Platz besetzt.

Durch den Abend führte Heimatbuch-Präsident Hans Isler, gemeinsam mit Vorstandsmitglied Susy Brupbacher, die den Abend mit dem Vorlesen diverser Geschichten immer wieder auflockerte.

Der Abend war gleichzeitig Buchvernissage des Buches «Lüüt vo Mäile – Mundartgeschichten aus dem Schützenhaus» von Emil Meier. Es enthält Geschichten, die der im Schützenhaus Meilen aufgewachsene Emil Meier in den Jahren 1979/1980 niedergeschrieben hat. Die Kurzgeschichten drehen das Rad der Zeit um etwa 100 Jahre zurück, schildert der Autor doch Erinnerungen aus seiner Jugendzeit (etwa 1915 bis 1930). Herausgeber des Buches ist der Meilemer Fredy Jordi, der die Geschichten digitalisiert und das Buch gestaltet hat. Es ist ab sofort auf https://www.heimatbuch-meilen.ch/buecher-beziehen oder in der Papeterie Köhler verfügbar und kostet 15.- Franken.

Bertolt Brecht kehrte in Feldmeilen ein

Nach einem kleinen einführenden Exkurs zum Unterschied von Tavernenrecht, Weinschenken und Speisewirtschaften und zur Meilemer Wirtschaftsgeografie konnten die Besucher eintauchen in die Geschichte diverser Meilemer Wirtschaften wie etwa des Restaurant Bahnhof Feldmeilen, in welchem seinerzeit Bertolt Brecht regelmässig Bier trank, Semmeln ass und die «Times» las.

Erste Wirtschaft Meilens

Die erste Wirtschaft in Meilen wird zu Beginn des 14. Jahrhunderts nachgewiesen. Angenommen wird, dass daraus das Gemeinde- und Gesellenhaus Meilen wurde. Wirtshäuser galten grundsätzlich als wichtige Informationsdrehscheiben. Im Gesellen- oder Gemeindehaus wurden Tanzveranstaltungen abgehalten oder auch amtliche Geschäfte wie Gerichts- Kauf- oder Vertragsverhandlungen abgewickelt. Geführt wurde das Gesellenhaus von einem Stubenknecht, der für die Nutzung einen jährlichen Zins (Pacht) zu bezahlen hatte. Ab 1833 wurde das Haus zum «Stern» und später zum «Sternen». Es wurden Maskenbälle ausgerichtet und diente von 1943 bis 1945 als Kasino für Unteroffiziere. Letzter Wirt ab 1909 war Emil Steiger, der aus dem Haus eine alkoholfreie Gemeindestube machte. Heute ist der Sternen (vis-à-vis Fähre) Standort einer Kita des Vereins FEE Meilen.

Extravagante Fasnachtsdekorationen

Das Wiistübli an der Seestrasse im Dorf wurde als Anbau an ein bestehendes Wohnhaus 1812 errichtet und war zuerst eine Bäckerei. Bäckermeister Hartmann Haupt gliederte 1889 der Bäckerei eine Wirtschaft an. Zuerst noch namenlos, wurde das Restaurant 1914 «Wiistübli» getauft. 2003 wurde es von Hermann und Marianne Leuthold übernommen. Besonders bekannt war das «Wiistübli» für die legendären, jährlichen Fasnachtdekorationen. So wurde aus dem «Wiistübli» schon mal eine Hafenbar oder eine Skihütte mit Matterhorn.

Eine schwere Erkrankung von Hermann Leuthold zwang die Wirtsleute zur Schliessung 2011. Zur geplanten Wiedereröffnung kam es leider nicht mehr, weil Hermi Leuthold im April 2011 verstarb.

Schluss nach 150 Jahren Wirtshausgeschichte

1864 als Weinschenke eröffnet und ein Jahr später zum Speiserestaurant erweitert wurde das Blumental an der Kirchgasse. Ab 1983 übernahm Rolf Egli mit seiner Frau Margrit das Blumental von seinen Eltern. «Er war der wohl initiativste Wirt in Meilen. Er war Begründer der «Fischchochete», Mitbegründer der «Treberwurst-Erwelete», aber auch mein Ratgeber beim legendären Rampenfest der Fähre im Jahr 2000», erinnerte sich Hans Isler. 2005 starb Rolf Egli überraschend und 2007 wurde das Haus von Heinz Tschemernegg wiedereröffnet, bevor das Blumental 2013 – nach über 150 Jahren «Wirtshausgeschichte» – die Pforten für immer schloss.

Interessantes gab es auch vom Restaurant «Schiffli» in Obermeilen, dem Hotel-Restaurant «Bellevue» am Bahnhof, dem «Rebstock» und dem «grüene Hof» in Feldmeilen sowie vom «Schützenhaus» an der Dorfstrasse zu berichten. Letzteres inspirierte das eingangs genannte Buch «Lüüt vo Mäile».

«Jörgli und Rolfli»

Eine rührende Geschichte las Susy Brupbacher im Zusammenhang mit dem Restaurant «Sonne» an der Seestrasse 654 vor. Die Episode stammt von ca. 1958 und wurde dem Heimatbuch von Dölf Neururer aus seinen Erinnerungen übermittelt. Zu dieser Zeit wurde das Restaurant von Emma und Fritz Suter geführt: Die Seestrasse war damals noch nicht geteert, sondern mit Pflastersteinen versehen. Ganz in der Nähe der «Sonne» wohnte Familie Larcher mit Sohn «Jörgli» und die Familie Attinger mit Sohn «Rolfli». Jörgli und Rolfli befanden sich auf dem Weg von Larchers zu Attingers, um dort zu spielen. Just als die beiden an der «Sonne» vorbeigingen, spickte vom Rad eines Lastwagens ein Stein weg und landete im Fenster des Restaurants, welches zu Bruch ging. Geschockt rannten die Buben schnurstracks zum Haus der Attingers und Emma Suter rief ihnen hinterher: «Was habt ihr Bengel da angestellt?!» Zuhause bei Attingers spielten die Buben, ohne jemandem zu erzählen, was passiert war. Gegen 17 Uhr fragte Frau Attinger den kleinen Jörgli, ob er nicht langsam nach Hause müsse, was er vehement verneinte. Nach etwa einer halben Stunde fragte Frau Attinger erneut nach, bekam aber die gleiche Antwort. Etwas später ging Jörgli zu Frau Attinger und sagte: «Wenn Frau Suter doch nur sterben könnte, dann könnte ich ohne Angst nach Hause gehen.»

Jörg Larcher starb noch vor Emma Suter während seiner Lehrzeit – er kam am 18. Januar 1971 beim Eisenbahnunglück in Feldmeilen ums Leben. Rolf Attinger ist vor kurzem in seinem 71. Lebensjahr verstorben. Umso rührender war die Erinnerung an die beiden.

Auch nach dem offiziellen Ende des Abends blieben viele Besucherinnen und Besucher noch an den Tischen sitzen, erzählten sich Geschichten und schwelgten in Erinnerungen.

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