Amtliches, obligatorisches Publikationsorgan der Gemeinde Meilen
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Neulich sass ich in der Bar und trank ein Bier. Roger schien heute etwas später zu kommen. Doch zu meiner Überraschung sass der Pfarrer an der Bar. Mit einem herzlichen Schulterklaps begrüsste ich den Geistlichen, und nachdem Jimmy mir das Bier hingestellt hatte, stiessen unsere Gläser zusammen.
«Schön, dich zu sehen, hier in den Niederungen des menschlichen Daseins.» – «Niederungen?» – «Naja, der Barhocker ist nicht gerade eine Kanzel.» Der Pfarrer schmunzelte. «Nun, auf der Kanzel bin ich nur in Ausnahmefällen.» – «Wie auch immer», meinte ich, «am Wochenende musste ich an dich denken.» – «Wieso das?» – «Ich habe mir eine lange Doku zum Phänomen ABBA angesehen, die vor fünfzig Jahren den Eurovision Song Contest gewonnen haben.» – «Kam dort auch ein Pfarrer drin vor?» – «Nein. Aber ist Abba in der Bibel nicht auch das Wort für den himmlischen Vater?» – «Stimmt», bestätigte der Pfarrer. «Abba heisst soviel wie unser Wort Papi. Wir dürfen Gott ganz vertraut ansprechen. Mit Papi.» – «Und wieso spielt ihr dann in der Kirche nicht rauf und runter ABBA-Musik?» – «Wieso sollten wir? Die sind ja nicht der himmlische Vater. Die machen einfach gute Pop-Musik.» – «Aber vielleicht spricht ja dieser himmlische Papi durch sie.» – «Wie sollte das gehen? Das hat doch gar nichts mit Kirchenmusik zu tun.» – «Ich meine ja nur. Einer meiner Lieblingssongs von ABBA ist ‹Thank you for the music›. Und ich frage mich immer: Wem danken die da?» Der Pfarrer stutzte. «Singen die denn auch von Gott?» – «Das nicht explizit. Aber muss man das Wort ‹Gott› denn immer verwenden, wenn man ihn meint?» – «Das nicht», sagte der Pfarrer nachdenklich. «Aber das würde bedeuten, dass man ihre Texte und dann auch die Texte anderer Pop-Songs ganz neu lesen müsste.» – «Wäre vielleicht mal eine Idee», meinte ich. «Das ist gut. Das ist sehr gut. Daraus mache ich die nächste Predigt!» Euphorisch warf er das Geld für sein Bier auf die Theke und verliess eiligst die Bar. Im Eingang stiess er beinahe mit Roger zusammen, der wenig später mit mir anstiess. Wir hielten unser übliches Biergeplauder, bis ich auch ihm auf die Schulter klopfte und zahlte. «Bis nächste Woche!» rief ich zu Jimmy. «Bis in einer Woche», antwortete er. Auf dem Heimweg dachte ich: Alle lieben ABBA, aber es gibt immer noch Orte, wo sie nicht beachtet werden. Eigenartig, nicht?
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